Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell

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bestimmten Stellen sollte ihre Dicke bis zu 35 Zentimeter betragen. Diese Schiffe sollten Besatzungen von über 2000 Mann haben und schwimmende Städte sein, wo alles zu haben ist. Vermutlich würde es an Bord auch Bestattungsunternehmer geben. Eines Tages werden solche Schiffe vielleicht Realität sein. Ich frage mich allerdings, was mit dem Menschen geschehen wird. Er wird niemals eine 35 Zentimeter dicke Haut haben, die den schwersten Granaten widerstehen kann. Wird unsere Art überhaupt überleben ? Oder wird unser Dasein schließlich in einen ewigen Krieg münden, und niemand wird sich erinnern, wie er begonnen hat, und niemand wird je ein Ende absehen?«
    Leutnant Jakobsson nahm noch einen Schnaps.
    »Der Krieg, der jetzt herrscht, ist vielleicht der Anfang. Millionen von Soldaten werden sterben, nur weil ein Mann in Sarajewo ermordet wurde. Ein unbedeutender Thronfolger. Kann das vernünftig sein? Natürlich nicht. Krieg ist im Grunde immer ein Irrtum. Oder das Resultat von unsinnigen Annahmen und Schlußfolgerungen.«
    Leutnant Jakobsson schien keinen Kommentar zu erwarten. Er stellte lediglich die Branntweinflasche in den Schrank zurück und verließ die Messe.
    Als er das Deck betrat, schwankte er und tat einen Fehltritt. Er drehte sich nicht um.
    Lars Tobiasson-Svartman blieb in der Messe sitzen und dachte über das nach, was er gerade gehört hatte.
    Wie dick war seine eigene Haut? Welchen Granaten würde seine Haut widerstehen?
    Was wußte er von Kristina Tackers Haut, außer daß sie duftete?
    Für einen kurzen Moment überwältigte ihn eine heftige Panik. Er saß wie gelähmt da, als würde sich ein Gift in seinem Körper ausbreiten. Dann riß er sich von sich selbst los, holte tief Atem und ging hinaus an Deck.
    Sie setzten die unterbrochene Arbeit fort, und es gelang ihnen, achtzig Kontrollmessungen vorzunehmen, bevor es dämmrig wurde.
    Zum Abendessen gab es gebratene Scholle, Kartoffeln und eine dünne, fade Soße. Leutnant Jakobsson war sehr schweigsam und stocherte nur auf seinem Teller herum.
    Lars Tobiasson-Svartman übertrug die Notizen des Tages ins Logbuch. Danach fühlte er sich rastlos und ging hinaus an Deck.
    Wieder meinte er zu sehen, daß es auf Halsskär aufblitzte. Wiederum tat er es als Einbildung ab.
    In dieser Nacht hielt er das Lot an seinen Körper gedrückt. Obwohl er es jeden Tag säuberte, meinte er, daß es nach Schlamm roch, nachdem es den Meeresboden gestreift hatte.
    tr erwachte mit einem Ruck. In der Kajüte war es die Nachtwache husten. Der Husten klang nicht gut, er war trocken. Die Schritte des Wächters entfernten sich achteraus.
    Er hatte geträumt. Von Pferden und von Menschen, die sie peitschten. Er hatte eingreifen wollen, aber niemand hatte von ihm Notiz genommen. Dann hatte er eingesehen, daß er selbst von einem Peitschenhieb getroffen werden würde. In diesem Moment war er aufgewacht.
    Er sah auf die Uhr, die neben der Koje hing. Viertel nach fünf. Noch keine Morgendämmerung.
    Er dachte an das Aufblitzen, das er bei zwei Gelegenheiten zu sehen gemeint hatte. Aber Halsskär war doch eine unfruchtbare Klippe im Meer? Da konnte es doch kein Licht geben.
    Er zündete die Petroleumlampe an, zog sich an, holte tief Luft und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Es war immer noch sein eigenes.
    Als Kind und während seiner ganzen Jugend war er seiner Mutter ähnlich gewesen. Jetzt, da er älter wurde, begann sich sein Gesicht zu verwandeln, und er sah im Spiegel immer mehr von den Gesichtszügen seines Vaters.
Gab es ein weiteres Gesicht, das er in sich trug? Würde er jemals erleben, daß er nur sich selbst glich?
    Über dem Meer lag Dunst, als er an Deck kam. Der Wachtposten mit dem Reizhusten saß auf dem vorderen Ankerspill und rauchte. Er fuhr hoch, als er Schritte hörte. Die Stummelpfeife verbarg er hinter dem Rücken. Dann erlitt er einen heftigen Hustenanfall. Es kratzte und schmerzte in seiner Brust.
    Lars Tobiasson-Svartman ging zu einem der Beiboote, legte das Fallreep aus und stieg hinunter. Der Wachtposten, der nach dem Hustenanfall wieder Luft bekommen hatte, fragte keuchend, ob er einen Ruderer haben wolle. Er lehnte es dankend ab.
    Die Sonne war noch nicht über den Horizont gestiegen, als er in Richtung Halsskär ruderte. Die Dollen quietschten erbärmlich. Um auf direktem Weg zur Schäre zu kommen, nahm er sich einen Richtpunkt am Brückennock auf der Steuerbordseite und paßte den Kurs ständig an. Er ruderte mit kräftigen Schlägen und legte