Tiefe
ein großer Krieg im Gange war.
Bevor er antwortete, warf er einen Blick auf die Tür, um zu sehen, ob ihr Mann sich zeigen würde.
»Seit einigen Monaten herrscht Krieg. Viele Länder sind daran beteiligt. Aber hier in der Ostsee sind es vor allem deutsche und russische Kriegsschiffe, die sich auf eine entscheidende Schlacht vorbereiten.«
»Und Schweden?«
»Wir haben nichts damit zu tun. Aber keiner weiß, wie lange uns das gelingt.«
Sie war jung, noch keine Dreißig. Ihr Gesicht war offen, genau wie ihre Stimme.
»Es ist schwierig.«
»Der Hering zieht also nicht hier durch ? Und der Dorsch ?«
»Es gibt Fisch. Aber ihn zu fangen ist mühsam.«
Sie schlug die Axt in einen Hackblock. Daneben lagen Äste und angeschwemmtes Strandgut zum Heizen. »Ich bekomme selten Besuch«, sagte sie. »Ich habe nichts anzubieten.«
»Das ist nicht nötig. Ich kehre zu meinem Schiff zurück.«
Sie sah ihn an. Ihr Gesicht gefiel ihm.
»Ich heiße Sara Fredrika«, sagte sie. »Ich bin nicht an Menschen gewöhnt.«
Sie drehte sich um und verschwand in der Hütte.
Lars Tobiasson-Svartman betrachtete lange die geschlossene Tür. Er wünschte sich sehnlich, daß sie aufgemacht würde und sie wieder zurückkäme. Doch die Tür blieb geschlossen.
Er kehrte zur Blenda zurück. Leutnant Jakobsson stand an der Reling und rauchte, als er an Bord kletterte. »Halsskär? So heißt die Felsinsel? Was haben Sie da gefunden?«
»Nichts. Da war nichts.«
Sie widmeten sich weiter ihrem Auftrag, ließen die Lote sinken und holten sie wieder ein.
Er dachte an die Frau, die aus dem Häuschen getreten war und ihm direkt in die Augen gesehen hatte.
Gegen Nachmittag drehte der Wind auf Südwest.
Während sie die Arbeit des Tages beendeten, setzte der Regen ein.
Teil 3 DER NEBEL
Am 15. November fiel der erste Schnee. Es war windstill, über der Finnischen Bucht lag eine dunkle Wolkenbank. Der Schnee war zunächst nur ein Hauch. Das Thermometer zeigte minus zwei Grad, das Barometer fiel.
Am Abend zuvor hatte Lars Tobiasson-Svartman in seinem Journal notiert, daß sie 21 Tage gearbeitet und drei Ruhetage eingelegt hatten. Er rechnete damit, am 1. Dezember die Vermessung der neuen Strecke des Fahrwassers beendet zu haben, ausgehend vom Leuchtturm von Sandsänkan bis zum nördlichen Schärenmeer von Gryt und der Einmündung bei Barösund. Anschließend würde die Blenda Kurs auf Gam-lebyviken nehmen, wo ein kleineres Gebiet vermessen werden sollte.
Der Marinestab hatte sie jedoch vorgewarnt, daß diese Etappe bis zu Neujahr 1915 verschoben werden könnte. Lars Tobiasson-Svartman und seine Leute sollten in diesem Fall zunächst nach Stockholm zurückkehren.
Noch immer war er im Zweifel, ob die gesamte Strecke von Halsskär nach Westen abgekürzt werden könnte. Es gab ein Gebiet, das ihn beunruhigte. Es war eine schlecht kartierte Strecke, bei der es Hinweise auf dramatische Unregelmäßigkeiten am Meeresgrund gab. Aber waren es begrenzte Untiefen, die er unberücksichtigt lassen konnte? Oder gab es dort einen Unterwasserrücken, über den die Fahrrinne nicht führen durfte ?
Er war sich nicht sicher. Es war eine ganz eigene Unruhe. Er teilte sie mit niemandem.
Er kroch in seine Koje, blies die Petroleumlampe aus und grübelte, warum er immer noch keinen Brief von seiner Frau bekommen hatte. Sechsmal hatte das Panzerschiff Svea sich vom Horizont her genähert. Jedesmal hatte er einem Verschlüsselungstechniker sein Logbuch übergeben, mit Rake über den Krieg gesprochen, ein Glas Kognak getrunken und schließlich einen Brief überreicht. Aber Rake hatte keine Post für ihn.
Auch etwas anderes ging ihm nicht aus dem Sinn. Es waren jetzt vierzehn Tage vergangen, seit er der Frau auf Hals-skär begegnet war. Der Wunsch verstärkte sich, zu der Schäre zurückzukehren. An zwei aufeinanderfolgenden Morgen war er in eine Jolle geklettert und hatte sich auf den Weg gemacht. Im letzten Moment hatte er es sich jedoch anders überlegt. Die Verlockung war groß, aber es war verboten. Er hätte hineilen mögen, aber er hatte nicht den Mut.
Der Schnee fiel unentwegt und wurde immer dichter. Das Meer war still, bleigrau. Die schwarzen Wolken schlichen über ihren Köpfen dahin. Leutnant Jakobsson kam an Deck, einen Schal um den Kopf und die Uniformmütze gewickelt. Ein Matrose lachte auf, ein anderer stimmte ein, aber Leutnant Jakobsson wurde nicht böse, sondern schien eher amüsiert.
»Es ist ganz gegen das Reglement«, sagte er lächelnd.
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