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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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an derselben Stelle an, wo er zum ersten Mal an Land gegangen war.
    Halsskär war wie von einer Riesenhand zerquetscht. Da gab es tiefe Schluchten und Senken, Lehmerde hatte sich angelagert und Leimkraut und vereinzelten Stauden von Wermut Halt gegeben. An den Klippen entlang krochen Flechten und die dumpfig rote Heide.
    Er folgte der Uferkante nach Norden. Manchmal mußte er sich vom Wasser entfernen, wenn die Felswände zu steil wurden. Das Gelände bot ihm keine Hilfe an, die Klippen formten sich zu glitschigen Abhängen, jede Felswand, die besiegt war, führte sofort zu einer neuen.
    Nach zehn Minuten brach ihm der Schweiß aus. Er befand sich zwischen Steinblöcken, tief unten in einer Kluft und konnte das Meer nicht mehr sehen. Er war von Stein umlagert. Eine Schlange hatte sich unten in der Schlucht gehäutet. Er kletterte weiter zwischen den Klippen herum, sah das Meer wieder und gelangte zum Rand einer Bucht, die aus der Schäre herausgemeißelt schien. 
Er blieb abrupt stehen.
    Zuinnerst in der Bucht lag eine windschiefe Anlegebrücke. An der Brücke war eine Jolle vertäut. Die Rahe war an den Mast geklappt, das Segel aufgetucht. Der Mast stand weit vorn in der Spitze des Boots. Am Ufer hingen Fischernetze an Astgabeln, zwischen ein paar Pfosten, die zwischen den Steinen in den Boden gerammt waren. Außerdem sah er einen Brauereibottich aus geteerter Eiche, einen Haufen Senksteine und Schwimmer aus Rinde und Kork.
    Er stand regungslos da und betrachtete das Bild. Es erstaunte ihn, daß eine Schäre, die so weit draußen am offenen Meer lag, von Fischern und Vogeljägern genutzt wurde. Robbenjäger konnten es nicht sein, da in der Nähe des Leuchtturms von Sandsänkan keine Klippen bekannt waren, auf die Seehunde heraufkrochen. Da mußte man tiefer ins Schärenmeer hinein, zu der Untiefe östlich von Harstena.
    Er ging weiter den Strand in der schützenden Bucht entlang und stellte fest, daß die Jolle sehr gepflegt war. Das Segel schien nicht geflickt zu sein, und die Schoten waren aus einem Stück, nicht aus Resten zusammengeknotet. Die Netze in den Astgabeln waren feinmaschig, geeignet für den Heringsfang. Weit drinnen in der Bucht sah er einen Trampelpfad, der zu einem dichten Gestrüpp aus Steinröschen und Sanddorn führte. Hinter dem Gestrüpp schlängelte sich der Pfad weiter zwischen zwei Klippen hindurch.
    Plötzlich erblickte er einen Flecken ebener Erde und eine kleine Jagdhütte, die sich an eine Felswand duckte. Sie hatte einen gemauerten Kamin, aus dem ein dünner Rauchfaden zum Himmel aufstieg. Das Fundament bestand aus großen Steinen. Die Wände waren aus ungehobelten grauen Planken von ungleicher Breite. Das Dach war mit Moos geflickt, aber darunter lag eine Schicht Torf. Es gab nur ein Fenster. Die Tür war geschlossen. Neben dem Haus war ein kleiner Gemüsegarten, in dem nichts wuchs, aber jemand hatte sich die Mühe gemacht, den Boden mit Tangbüscheln zu bedecken und zu düngen. Weiter weg, ganz nah an der Felswand auf der anderen Seite der Hütte, lag ein Kartoffelacker. Er schätzte ihn auf zwanzig Quadratmeter. Auch hier war Tang ausgestreut, zusammen mit vertrocknetem Kartoffelkraut.
    In diesem Moment ging die Tür auf. Eine Frau trat heraus. Sie trug einen grauen Rock und eine zottelige Jacke, in der Hand hielt sie eine Axt. Ihre Haare waren lang und blond und in einem Zopf zusammengefaßt, der sich in der Jacke versteckte. Sie bemerkte ihn und schrak zusammen. Aber sie bekam keine Angst und erhob nicht die Axt.
    Lars Tobiasson-Svartman war verwirrt. Er fühlte sich wie auf frischer Tat ertappt, ohne zu wissen, wessen man ihn beschuldigen könnte. Er hob die Hand an den Mützenrand und grüßte.
    »Ich will mich nicht anschleichen«, sagte er. »Ich heiße Lars Tobiasson-Svartman und bin Kapitän, ohne Befehlshaber zu sein, auf dem Schiff, das da draußen liegt, östlich der Schäre.«
    Sie hatte klare Augen und senkte den Blick nicht. »Was machen Sie hier? Ich habe den Küstensegler gesehen. Er liegt hier Tag für Tag.«
    »Wir messen die Tiefe und prüfen nach, ob die Seekarten zuverlässig sind.«
    »Ich bin nicht daran gewöhnt, hier draußen zwischen den Untiefen Schiffe liegen zu sehen. Und noch weniger, Leute auf der Insel zu haben.«
    »Der Krieg zwingt uns dazu.«
    Sie wandte den Blick nicht von ihm. »Was für ein Krieg?«
    Er spürte, daß sie die Wahrheit sagte. Sie wußte nichts vom Krieg. Sie trat aus einem Häuschen auf Halsskär heraus und wußte nicht, daß

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