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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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bin um den Block gegangen, um Schaum und Algen und den Geruch nach Schlamm abzuschütteln. Ein Schiff zu verlassen ist ein komplizierter Prozeß.«
    Er umarmte sie, sog all ihre Gerüche ein, den Wein, das Parfüm mit dem vagen Duft von geriebener Zitronenschale. Sie drückte sich nicht an ihn, es gab einen Abstand zwischen ihnen, aber er hoffte, daß sie sich über seine Rückkehr freute.
    Hinter ihnen kicherte jemand. Seine Frau fuhr zusammen, drehte sich um und gab dem Dienstmädchen eine schallende Ohrfeige. »Geh«, sagte sie. »Laß mich und meinen Mann in Frieden.«
    Das Mädchen verschwand. Ihre eiligen Schritte waren fast lautlos. Er hatte seine Frau noch nie Gewalt anwenden sehen und erschrak über die Kraft des Schlags, als hätte er ihn selbst abbekommen.
    »Hast du meinen Brief erhalten? In dem ich von ihr geschrieben habe?«
    »Ich habe alle deine Briefe erhalten.«
    Sie standen still da, er legte die Kapitänsjacke ab, schnürte seine Schuhe auf, streifte sie ab und folgte ihr in das Zimmer, in dem die Porzellanfiguren auf ihren Regalen standen.
    Nichts war verändert. Es war, als trete er in ein Zimmer ein, das niemand bewohnte.
    Sie setzten sich auf die Stühle am Fenster. Das Licht der tiefstehenden Sonne drang durch die dünnen Vorhänge.
    Er erzählte mit großer Sorgfalt von seiner Reise. Hinter den Einzelheiten konnte er sich verstecken. Alles, was er sagte, war wahr, nur eine Sache ließ er aus: daß es im Meer eine Insel gab, die Halsskär hieß.
    Er löschte ihre Existenz von der Seekarte und ließ die Schäre auf den Meeresboden sinken.
    Der Gedanke, daß er gesagt hatte, seine Frau und seine Tochter seien tot, brachte ihn für einen kurzen Moment durcheinander. Es gab ihm einen Stich in den Magen.
    Sie war wie ein wachsamer Vogel. »Was ist denn?«
    »Ich habe Schmerzen in einem Zahn.«
    »Wo?«
    »Im Unterkiefer.«
    »Du mußt zum Zahnarzt gehen.«
    »Es ist schon vorbei. Es war nichts, nur ein kurzes Ziehen.«
    Er fuhr fort zu erzählen, als wäre nichts gewesen. Sie erhob sich, um dem Dienstmädchen zu sagen, es solle den Kaffee servieren. Da dachte er, daß er einen großen Abstand zwischen sich und seiner Frau gemessen habe.
    Er hatte eine Lüge zwischen sie gelegt. Eine Lüge, die weiterwachsen würde, auch wenn alles andere, was er zu ihr gesagt hatte, wahr oder wenigstens aufrichtig gemeint war. Die Lüge brauchte keine neue Nahrung. Sie würde ganz von allein gedeihen.
    Er überlegte, ob es möglich sei zu leben, ohne zu lügen. Hatte er je einen Menschen getroffen, der nicht log? Er suchte in seinem Gedächtnis, ohne jemanden zu finden.
    Sie tranken den Kaffee am Fenster. Das Mädchen, das die Ohrfeige bekommen hatte, wirkte verschreckt und ängstlich. Sie tat ihm leid, und er erinnerte sich an den verrotzten Ruderer.
    Wir gehören zu denen, die schlagen, dachte er. Wenigstens haben wir das gemeinsam, meine Frau und ich, daß wir kräftige Ohrfeigen austeilen, die auf die Haut klatschen. Außerdem kann man immer über Dienstboten reden. Über alles andere müssen wir vielleicht bis auf weiteres schweigen.
    »Sie irritiert mich grenzenlos«, sagte Kristina Tacker. »Trotz aller Ermahnungen, sich zu waschen, riecht sie nach Schweiß, sie versäumt es, die obere Kante der Bilderrahmen abzustauben, läßt sich Zeit, wenn sie den Müll wegbringt oder fürs Essen einkauft, und die verschiedenen Maße der Rezepte kann sie nicht richtig ausrechnen.«
    Sie sprach leise, damit ihre Worte außerhalb des Zimmers nicht zu hören waren.
    »Ich werde mich selbstverständlich um die Sache kümmern«, sagte er. »Schlimmstenfalls müssen wir sie entlassen und eine andere einstellen.«
    »Die Menschen wollen anderen nicht mehr dienen«, sagte Kristina Tacker. »Wir leben in einer unwilligen Zeit.«
    Das Abendessen nahmen sie bei Kerzenschein ein. Die Wärme der Kachelöfen breitete sich im Zimmer aus. Lars Tobiasson-Svartman wünschte intensiv, daß er zur Ruhe kommen möge und daß alles, was im Fahrwasser beim Leuchtturm von Sandsänkan geschehen war, sich aus seinem Bewußtsein verflüchtigen würde.
    Dann würde es weder Wahrheit noch Lüge geben, nur das Fahrwasser, das er auf eine neue Strecke geführt hatte.
    Er trank zum Essen Wein und anschließend Portwein. Kristina saß im Halbschatten und bestickte ein Tuch. Er spürte, daß er noch nicht bereit für die Nacht war.
    Kurz nach zehn stand sie auf. Er wartete, bis er hörte, daß sie ins Bett gekrochen war. Dann trank er zwei Glas Kognak,

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