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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mißverstandenen Versuch, die Maschinen zu schonen, sind Spitzengeschwindigkeiten nur während unmittelbarer Kriegsereignisse erlaubt. Es gibt nur wenige technisch qualifizierte Ingenieure und Offiziere im Marinestab. Die Maschinen sollten ab und zu, nicht oft, aber regelmäßig, auf Hochtouren gebracht werden. Sonst ist die Gefahr von Explosionen sehr hoch, wenn es wirklich darauf ankommt.«
    Rake lachte auf. »Es ist wie mit den Menschen«, fuhr er fort. »Auch wir müssen hin und wieder etwas auf der Höhe unserer Kapazität leisten. Der Unterschied zwischen einer Maschine und einem Menschen ist nicht allzu groß.«
    Rake öffnete ihm die Tür und lud ihn zu einem Essen am Abend ein.
    Er kehrte in seine Kajüte zurück und streckte sich auf seiner Koje aus. Bald war er eingeschlafen.
    Eine Stunde später erwachte er mit einem Ruck. Ein kratzendes und klagendes Geräusch, das sich durch den Schiffsrumpf fortpflanzte, verkündete, daß der Anker mit der Kette an Bord gezogen wurde.
    Er erhob sich, zog die Jacke an und ging an Deck. Die Blenda war schon verschwunden. Die Maschinen vibrierten, Rauch stieg aus den vier hohen Schornsteinen auf. Das Schiff begann, sich langsam um seine eigene Achse zu drehen, und nahm Kurs auf Nordosten.
    Er kniff die Augen zusammen und suchte mit dem Blick nach Halsskär, konnte aber keine Einzelheiten ausmachen.
    Das Meer wirkte erschreckend verlassen.
    Es gibt etwas, was ich nicht begreife, dachte er. Eine Warnung. Gerade jetzt begehe ich einen Fehler, ohne daß ich weiß, welchen. Halsskär verschwand langsam im Dunst.
    Lars Tobiasson-Svartman dachte an den Punkt, den er gesucht hatte, den Punkt, an dem das Lot den Boden nicht erreichte. Diesen Punkt hatte er noch nicht gefunden.
Teil 5 DIE TOTEN AUGEN VON PORZELLANFIGUREN
    In der Nacht vor der Rückkehr nach Stockholm hatte er schlecht geschlafen. Nachdem er die Petroleumlampe ausgeblasen hatte, war das Gefühl einer herannahenden Katastrophe übermächtig geworden.
    Sie könnte jederzeit dasein: ein lautloser Torpedo, von einem unbekannten U-Boot abgefeuert und jetzt durch das dunkle Wasser rasend.
    Er hatte, in Schweiß gebadet, in seiner Kajüte gelegen und den Vibrationen der großen Verbundmaschinen gelauscht. Rakes Versicherungen, daß er die Maschinerie keinen gefährlichen Strapazen aussetzen würde, half ihm nicht. Dampfkessel konnten ohne Vorwarnung explodieren, große Löcher unter der Wasserlinie reißen und das Schiff innerhalb von kaum dreißig Sekunden sinken lassen.
    Das war sein größter Schrecken: in einer Luftblase eingeschlossen zu sein, weit im Innern eines Schiffs, das zum Meeresboden hinabsank. Nicht einmal seine Schreie würden eine Spur hinterlassen.
    Er fürchtete, daß der Tod ganz lautlos kommen würde.
    Erst in der Dämmerung, als die Vibrationen schwächer geworden waren und das Schiff sich in den inneren Fahrwassern von Stockholms Schären befand, schlummerte er ein. Doch die Vibrationen verfolgten ihn bis in die Träume hinein.
    Er befand sich in einem Maschinenraum. Die Hitze war unerträglich, stöhnende und schreiende Heizer mit schwarzen Gesichtern und ölig glänzenden Rücken umgaben ihn, und er wußte, daß alles bald vorüber sein würde. Plötzlich entdeckte er, daß einer der verschwitzten Heizer der tote deutsche Matrose war. Er hielt eine Schaufel in der Hand, aber ihm fehlten die Augen, an ihrer Stelle gab es nur zwei blutige Löcher.
    In diesem Moment gelang es ihm, sich von dem Traum loszureißen und wieder an die Oberfläche zu steigen.
    Obwohl er sehr müde war, zog er sich an und ging hinaus an Deck. Das Meer war grau, die dunklen Felseninseln verschwammen im Dunst. Die Müdigkeit bewirkte, daß er von kurzen Sehstörungen befallen wurde. Meer und Himmel flossen zu undeutlichen Lichtpunkten zusammen, ein Wechselspiel zwischen Licht und Dunkel.
    Die Temperatur war in der Nacht gefallen. Er stellte sich an den Platz, wo niemand ihn sehen konnte. Er blieb dort, bis sie Oxdjupet passierten. Dann kehrte er in seine Kajüte zurück, klappte die Kofferdeckel zu und betrachtete sein Gesicht im Spiegel.
    Sein Vater wurde jetzt deutlicher sichtbar, in der Falte zwischen den Augenbrauen, ein verbitterter Zug, der ihm immer angst gemacht hatte. Gegen seinen Willen war er im Begriff, das gequälte Gesicht seines Vaters anzunehmen. Sein Vater versuchte, die frühere Macht wiederzugewinnen, in seinem eigenen Gesicht wieder lebendig zu werden.
    Er hauchte den Spiegel an, bis er beschlug und das

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