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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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zur Gesellschaft brauche. Ich sitze da auf der Bank, es ist immer noch kalt, der Schnee wirbelt über den Steinboden, und plötzlich setzt sich jemand vor mich. Ich erkenne nur, daß es eine Frau ist, nicht, wie sie aussieht. Sie dreht sich um, und ich sehe, daß ich selbst es bin, die da sitzt. Sie flüstert etwas, was ich nicht verstehen kann. Wer bin ich eigentlich, wenn ich es bin, die in der Bankreihe vor mir sitzt? In diesem Moment wache ich auf. Was der Traum bedeutet, kann ich natürlich ahnen, vielleicht,
    Er legte das Tagebuch zurück, verschloß den Sekretär. Er stellte sich an ein Fenster, das auf die Straße ging. Eine Ratte lief an der Hauswand entlang und schlüpfte durch ein Kellerfenster hinein. Er dachte über den Traum nach, den seine Frau in ihrem Tagebuch beschrieben hatte. Ein Traum, der ihre Bequemlichkeit besiegte, dachte er. Es muß viel zusammenkommen, ehe sie sich freiwillig aus dem Bett erhebt, nachdem sie sich hingelegt hat. Sie lebt in großem Müßiggang. Aber ein Traum von einem Besuch in einer Kathedrale, eine unerwartete Spiegelung ihres eigenen Gesichts bringt sie dazu, aufzustehen und sich anzustrengen.
    Er blieb an diesen Worten hängen. Seine Frau hatte sich angestrengt. Wie oft tat sie das? Wenn sie ihre Porzellanfiguren abstaubte und polierte. Aber sonst?
    Er versuchte, den Traum zu deuten. Es war, wie heimlich bei ihr einzubrechen. Er setzte sich in einen Schaukelstuhl, den Kognak in der Hand, und ging den Traum im Kopf durch. Aber er fand keinen Zugang. Gerade als sie die verschneite Kathedrale betrat, schloß der Traum seine Tore.
    Er trank noch ein Glas Kognak, merkte, daß er stark betrunken war, und ging in der Wohnung umher. An der Tür des Dienstmädchens blieb er stehen und horchte. Sie schnarchte. Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte in das Zimmer. Das Mädchen schlief auf dem Rücken, mit offenem Mund. Die Decke war bis zum Hals hochgezogen. Er war einen Moment in Versuchung, die Decke anzuheben und nachzusehen, ob sie nackt schlief. Er schloß vorsichtig die Tür und ging in das Zimmer, in dem seine Frau die Porzellanfiguren aufbewahrte. Er bezwang seine Lust, eine davon zu zerschlagen. Es ist ein leuchtendes Elend, dachte er, daß ich auf eine Sammlung von leblosen, überwiegend schlecht gemachten Porzellanfiguren eifersüchtig bin.
    Ihre toten Augen starrten ihn in dem bleichen Licht an, das durch die Fenster fiel.
    Am Morgen des 17. Dezembers lag ein leichter Nebel über der Stadt, es waren einige Grad über Null. Er war gespannt auf das bevorstehende Treffen im Marinestab. Die Vermessungen, die er kürzlich abgeschlossen hatte, waren zwar vorbildlich durchgeführt und gemeldet, und er hatte keinen Grund, etwas anderes zu glauben, als daß man mit seiner Arbeit zufrieden war. Trotzdem war da eine Unruhe.
    Noch immer raste ein unsichtbarer Torpedo auf ihn zu.
    Er unternahm einen langen Spaziergang durch die Stadt, die Wohnung hatte er schon gegen sechs verlassen, ohne seine Frau zu wecken. Auch das Dienstmädchen hatte er nicht aufgestört, sondern sich selbst einen Kaffee gekocht. Seine Uniform hatte sie tags zuvor unter der Aufsicht von Kristina Tacker gebügelt. Er ging durch die Stadt, kletterte die Anhöhe zum Brunkebergstorg hinauf, wo die Droschkenkutscher wie üblich eine Schneegrotte gebaut hatten, um sich zu wärmen. Er überquerte die Strömbron und ging weiter durch die Gassen der Altstadt, wo schattenhafte Figuren in verschiedene Richtungen hasteten. Im Kopf wiederholte er alles, was während der Vermessungsarbeiten beim Leuchtturm von Sandsänkan geschehen war. Alle waren da, Fregattenkapitän Rake, Leutnant Jakobsson, Welander mit seinen Schnapsflaschen, der Matrose Richter, dem die Augen fehlten.
    Die einzige, die nicht dabeisein durfte, war Sara Fredrika.
    Sie, die jeden Tag Angst hatte, ihren eigenen Mann als Fang im Netz zu haben.
    Punkt acht Uhr trat er durch die Tür des Hauptquartiers der Marine auf Skeppsholmen. Ein Adjutant bat ihn, Platz zu nehmen und zu warten, da der Ausschuß noch nicht vollzählig sei. Ein Vizeadmiral, der auf Djursholm wohnte, hatte mitgeteilt, daß er sich verspäten werde.
    Lars Tobiasson-Svartman schauderte es in dem kalten Korridor. Er lauschte einigen Trompetensignalen, die durch die Fenster zu hören waren, und gleich darauf dem dumpfen Dröhnen eines einzelnen Kanonenschusses.
    Nach einer guten halben Stunde meldete ihm der Adjutant, der Ausschuß sei jetzt bereit, ihn zu empfangen. Er betrat einen

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