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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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führte.
    Er dachte: Die Kajüte ist mein fester Punkt. Mitten in diesem Punkt befinde ich mich genau in diesem Augenblick. Irgendwann in der Zukunft wird es präzise Meßinstrumente geben, die die exakte Position der Kajüte in jedem gegebenen Augenblick nach Längen- und Breitengraden zu bestimmen vermögen. Die Position wird bis auf den Bruchteil einer Sekunde auf der Weltkarte festzustellen sein. Wenn es soweit ist, wird es keinen Platz mehr für Götter geben. Wer braucht einen Gott, wenn die exakte Position eines Menschen festgestellt werden kann, wenn die innere Position eines Menschen exakt mit der äußeren Position zusammenfallen wird? Wer davon lebt, Spekulationen über Aberglauben und Religion anzustellen, muß dann etwas anderes finden, um sich zu versorgen.
    Scharlatane und Seevermesser stehen jeder auf seiner Seite der entscheidenden Trennungslinie, unwiderruflich. Nicht der Datumslinie oder dem Nullmeridian, sondern der Linie, die das Meßbare von dem trennt, was nicht gemessen werden kann und was daher auch nicht existiert.
    Er zuckte zusammen. Irgend etwas an diesem Gedanken verwirrte ihn. Aber er kam nicht darauf, was es war.
    Er nahm seinen Rasierspiegel aus dem Etui, das Kristina Tacker mit seinen Initialen und einer kindlich geformten Rose bestickt hatte.
    Jedesmal, wenn er in den Spiegel sah, holte er tief Luft. Es war, als bereitete er sich auf einen Abstieg in große Tiefe vor. Er bildete sich ein, im Spiegel einem fremden Gesicht zu begegnen.
    Stets durchzog ihn ein heftiges Gefühl der Erleichterung, wenn er seine Augen erkannte, die gerunzelte Stirn, die Narbe über dem linken Auge.
    Er betrachtete sein Gesicht und dachte daran, wer er war. Ein Mann, der in der schwedischen Flotte Karriere gemacht hatte, mit dem Ehrgeiz, eines Tages die Hauptverantwortung für die Kartierung der geheimen militärischen schwedischen Fahrwasser übertragen zu bekommen.
    War er sonst noch etwas?
    Eine Person, die unentwegt Abstände und Tiefen vermaß, in der äußeren Wirklichkeit ebenso wie in dem Meer, das in seinem Innern noch nicht kartiert war.
    Er strich sich mit der Hand über die Wangen, legte den Spiegel zurück ins Etui. Er war außerdem ein Mann, der seinen Nachnamen geändert hatte. Anfang März 1912 war sein Vater verstorben. Ein paar Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele im neugebauten Ziegelstadion von Stockholm beantragte er beim Königlichen Patent- und Registrierungsamt eine Namensänderung. Um den Abstand zu seinem verstorbenen Vater zu vergrößern, hatte er beschlossen, den Mädchennamen seiner Mutter zwischen seinen Vornamen und den Namen Svartman zu stellen. Seine Mutter hatte immer versucht, ihn vor dem launischen und ständig aufbrausenden Vater zu schützen. Sein Vater war tot. Aber auch tote Menschen können eine Bedrohung darstellen. Von nun an würde seine Mutter auch in seinem Namen als schützende Mauer gegenwärtig sein.
    Er legte das Spiegeletui weg und klappte den Deckel einer Holzschachtel auf, die er auf den kleinen Tisch mit Sturmkante gestellt hatte. Darin befanden sich vier Uhren. Drei Uhren zeigten exakt die gleiche Zeit. Sie kontrollierten einander. Bei der letzten, die er von seinem Vater geerbt hatte, waren die Zeiger unbeweglich. Da war die Zeit stehengeblieben.
    Er klappte den Deckel über den Uhren zu. Drei zeigten ihm die Zeit, die vierte den Tod.
    Drei Offiziere erhoben sich und betrachteten ihn neugierig, als er die Messe betrat. Einen Mann mit kurzsichtigen Augen kannte er. Es war der Flaggsteuermann Höckert, der ihn am Abend zuvor am Landungssteg begrüßt hatte.
    Höckert stellte ihn den beiden anderen in der Messe vor. »Meine Kollegen hier sind Leutnant Sundfeldt und Artilleriekapitän von Sidenbahn.«
    Der Artilleriekapitän war groß und schlank und roch stark nach Rasierwasser oder Gin.
    »Sie fragen sich natürlich, was ein Artilleriekapitän an Bord eines Schiffs zu suchen hat? Gewöhnlich bewegen wir uns mit größerer Stärke und Entschlossenheit an Land. Mitunter können aber Artilleriekapitäne auch an Bord eines Panzerschiffs nützlich sein. Besonders wenn neue Kanonenbesatzungen trainiert werden sollen und Mangel an Offizieren herrscht.«
    Sie setzten sich. Ein Messestewart servierte Kaffee. Keiner stellte irgendwelche Fragen. Fregattenkapitän Rake hatte die Offiziere natürlich darüber informiert, daß sie auf ihrer Fahrt zu den äußersten Schären von Östergötland einen Kapitän mit Geheimauftrag an Bord haben

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