Tiefe
den Feldstecher aufs Meer. Er ahnte, daß der Wetterumsturz nahe bevorstand. Die Sonne versteckte sich hinter einer dichten Wolkendecke, die Temperatur fiel. Alles deutete darauf hin, daß es in den nächsten Tagen Nebel geben würde.
Gerade an diesem Tag hatte er Stefan Dorflinger damit beauftragt, auf eigene Faust ein paar Bohrungen und Messungen vorzunehmen.
Er betrachtete den Mann, der draußen auf dem Eis über dem Bohrer hockte. Sara Fredrika tauchte an seiner Seite auf. Sie hatte den Vormittag damit verbracht, auf der westlichen Seite der Schäre Dorsche aus verschiedenen Eislöchern zu ziehen.
Er ahnte, daß sie ihn beobachtet hatte, ehe sie zu ihm kam.
»Warum richtet ein Mann den Feldstecher auf
Stecher. Ich habe gesehen, wie du dich gewaschen hast, ich habe deinen Körper gesehen. Den habe ich nie vergessen. Vielleicht werde ich dich vergessen. Aber niemals deinen Körper.
»Ich kontrolliere nur, ob er es richtig macht.« Sie griff heftig nach seinem Arm. »Ich will nicht hierbleiben.« »Was wäre geschehen, wenn ich nicht gekommen wäre?« »Dann hätte ich ihn gebeten, mich mitzunehmen.« »Du wärst einem zum Tode verurteilten Mann gefolgt?« »Das wußte ich ja nicht.« »Nein«, erwiderte er. »Das konntest du nicht wissen.« Als sie zum Haus zurückkehrte, folgte er ihr vorsichtig, um zu sehen, ob sie wirklich hineinging.
Stefan Dorflinger nahm seine sinnlosen Bohrungen auf dem Eis vor. Lars Tobiasson-Svartman suchte nach einem passenden Senkstein und stieß ihn mit dem Fuß aufs Eis hinaus. Er hatte eine abgerundete Unterseite und glitt dahin, ohne daß man viel Kraft aufwenden mußte. Dann sammelte er kleine Stöcke und Äste, zerbrach sie in Stücke und legte sie neben das umgedrehte Boot.
Die Temperatur fiel und fiel. Noch einmal konnte er die beiden Jäger sehen.
Er folgte ihnen mit dem Blick, bis sie auf der vereisten Bucht Richtung Festland verschwanden.
Am Tag darauf war die Schäre in Nebel gehüllt. Lars Tobiasson-Svartman wartete, bis die anderen aufgewacht waren. »Ich gehe jetzt hinaus«, sagte er. »Komm etwa in einer Stunde. Warte ab, ob sich der Nebel lichtet.« »Ich verirre mich nicht«, sagte Stefan Dorflinger. »Ich lege von der Bucht aus eine Spur. Man wird im Nebel
leicht übermütig. Rufe bitte, wenn du übers Eis gehst, damit ich dich richtig führen kann, wenn du auf dem falschen Weg bist.«
Er wartete keine Antwort ab, hängte den Sack mit dem Bohrer über die Schulter und ging los. Unten auf dem Eis fing er an, den Weg zu den Bohrlöchern zu markieren. Der Nebel war sehr dicht. Er stieß den Senkstein ein paar Meter vor sich her und tat einen Schritt zurück, dann noch einen. Der Stein war im Nebel verschwunden. Die Sicht betrug höchstens vier Meter.
In der Ferne meinte er, ein Nebelhorn zu hören. Er lauschte, ohne daß die Sirene wiederkam. Er fuhr fort, den Weg mit den Ästen zu markieren, bis er an der Stelle anlangte, wo er die ersten Löcher gebohrt hatte. Mit dem Fuß drückte er aufs Eis. Es knackte. Er hatte die Bohrlöcher offen gehalten, indem er sie jeden zweiten oder dritten Tag vom frischen Eis säuberte. Jetzt bohrte er weitere zehn Löcher. Als er fertig war, lief ihm der Schweiß herunter. Als er jetzt den Fuß ausstreckte und leicht drückte, barst das Eis an allen vier Ecken. Er kniete sich hin und strich den aufgebohrten Schnee über den Riß, so daß er bedeckt war.
Plötzlich fürchtete er, daß Sara Fredrika dem Deserteur aufs Eis folgen würde, aus Sorge, daß er sich verirren könnte. Dann müßte er das abbrechen, wozu er sich entschlossen hatte. Er hoffte, daß sie nicht kommen würde. Einen Plan zu ändern war eine Niederlage.
Aus dem Sack zog er ein dickes Seil, das er in Sara Fred-rikas Segeljolle gefunden hatte. Es war eine lose Trosse, die als Reserveleine in die Vorpiek gestopft worden war. Er knotete das Seil um den Senkstein und beförderte diesen mit einem Tritt in den Nebel hinaus.
Er tat ein paar lange Atemzüge und maß seinen Puls. Er war nur leicht erhöht, 82 Schläge pro Minute. Er zog die Fäustlinge aus und hielt die Hände vor sich hin. Die Finger zitterten nicht.
Er stand vor einem fremden Menschen, jemand, der er war, aber doch wieder nicht.
Dann hörte er schlurfende Schritte auf dem Eis. Stefan Dorflinger trat aus dem Nebel hervor. Er war allein.
Lars Tobiasson-Svartman lächelte.
Es war ihr letztes Gespräch, und es war sehr kurz. Lars Tobiasson-Svartman hatte sich hinter das Eisloch gestellt, Stefan
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