Tiefe
Boden. »Sag es«, sagte sie. »Warte nicht, sag es sofort.«
»Es ist ein Unglück geschehen.«
»Ist er tot?«
»Er ist tot.«
»Ist das Eis gebrochen?«
»Er muß ein Loch ins Eis gehauen haben, als er beim Bohren allein draußen war. Er trat nur direkt hinein und versank.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er hat sich das Leben genommen«, sagte Lars Tobiasson-Svartman. »Ich war völlig unvorbereitet. Er sagte kein Wort. Er kam nur aus dem Nebel hervor, ging direkt zu dem Loch und trat hinein. Es gibt keinen Zweifel. Er wollte sterben.«
»Nein. Er wollte nicht sterben. Er wollte leben.«
Sie war entschieden. Sie biß fest auf die Haarsträhne im Mundwinkel. Er hatte ein Gefühl, als läge sie selbst in einem Loch und hielte sich an ihren eigenen Haaren fest.
»Er hatte Angst. Sogar draußen im Nebel lauschte er nach Verfolgern. Wenn er schlief, drehte er im Traum den Kopf, um zu sehen, ob jemand hinter ihm war. Ein Mensch, der sogar in den Träumen verfolgt wird, kann nicht beliebig viel erdulden.«
»Er wollte nicht sterben.«
Sie stützte sich mit den Händen an der Wand ab und stand auf. Als er ihr helfen wollte, stieß sie ihn mit
»Ich kann das nicht verstehen«, sagte sie. »Er wollte leben. Hast du nicht seine Augen gesehen? Ich habe noch nie so etwas gesehen.«
»Sie strahlten Angst aus.«
»Sie waren ganz. Er hatte Augen, die zusammenhingen, die sahen, daß es etwas gab, was man nur erreichen konnte, wenn man von dem wegkam, was weh tat.«
»Du mußt dich getäuscht haben. Er war so furchtbar ängstlich, daß er es schließlich nicht mehr aushielt. Er hatte sich gut vorbereitet, das Loch aufgebohrt, Steine in seine Taschen gesteckt. Er trat ins Wasser hinunter, wie man einen Schritt auf einen Tanzboden macht oder von einem warmen Zimmer in ein kaltes. Er wollte das, was er tat. In dem Augenblick, in dem er ins Wasser ging, hatte er keine Angst mehr.«
»Ich meinte, ich hätte einen Schrei gehört.«
»Das muß ein Vogel da draußen im Nebel gewesen sein.«
Das Eis auf dem Dach hatte zu tropfen begonnen. Er stand auf, streckte die Beine und dachte, daß Stefan Dorflinger eigentlich nicht existiert hatte, sondern nur eine flüchtige Einbildung war.
»Warum hat er sich nicht gleich das Leben genommen, nachdem er das Loch gebohrt hat? Warum hat er gewartet?«
»Wenn man sich entschlossen hat zu sterben, hat man es nicht eilig. Er wollte gut vorbereitet sein.«
»Wenn er mich mit seinen Händen berührte, hatte er keine Angst. In diesen Händen war kein Selbstmord.«
Es gab ihm einen Stich, als sie von den Händen des Soldaten sprach. Er schob den Gedanken weg. Ich müßte sagen, wie es ist, dachte er. Daß ich ihn umgebracht habe und daß sie jetzt wählen kann, ob sie hierbleiben oder mir folgen will.
und die Verfolger fraßen ihn von innen auf. Ich hätte in seiner Situation vielleicht dasselbe getan.«
Sie ließ ihn stehen und rannte den Pfad zur Bucht hinunter. Er folgte ihr vorsichtig.
Sie saß auf dem umgedrehten Boot und weinte.
Sie tat ihm leid, aber noch mehr tat er sich selbst leid. Verstand sie nicht? Sie war es, die ihn zum Töten gezwungen hatte, indem sie den Deserteur in Haus und Bett aufgenommen hatte.
Die Wolken hatten sich zerstreut, und auch der Nebel war verschwunden. Er kehrte in die Hütte zurück, setzte sich und wartete. Sie ließ sich Zeit. Aber als sie kam, kam sie zu ihm, zu keinem anderen.
In dieser Nacht teilten sie die Pritsche. Zum zweiten Mal. Für einen kurzen, schwindelerregenden Augenblick meinte er, den Duft von Kristina Tackers Körper zu spüren, ihren keuchenden Atem.
Dann war er wieder zurück. Ihre langen Haare hüllten ihn ein, als hätte er sich in einem Netz verfangen und würde zu einem Punkt hingezogen, an dem er schier zerbrach.
Danach waren sie still, regungslos. Er konnte nicht ausmachen, ob sie wach war oder schlief. Aber sie war da. Er war da. Es war nicht wie beim Zusammensein mit Kristina Tacker, daß sie immerzu in verschiedene Richtungen liefen.
In der Morgendämmerung wurde er davon wach, daß sie ihn betrachtete. Ihr Gesicht war sehr nahe.
»Ich muß dich bald verlassen«, sagte er. »Aber ich komme zurück. Ich komme und hole dich hier weg.«
»Das hoffe ich«, antwortete sie. »An irgend etwas muß ich glauben. Sonst geht es nicht.«
Sonst geht es nicht. Was würde dann sein?
Frühmorgens am 27. Februar verließ er sie. Er hatte sich darauf vorbereitet, zum Festland zu gehen. Sie begleitete ihn bis zum Eisrand.
»Die
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