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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wissen, und dem, was andere nicht erfahren sollen.«
    Sie setzte zu einer weiteren Frage an. Doch er hob die Hand.
    »Ich habe schon zuviel gesagt. Jetzt will ich, daß du schlafen gehst. Morgen hast du alles vergessen, was ich dir gesagt habe.«
    »Ist das ein Befehl?« fragte sie lächelnd.
    »Ja«, antwortete er. »Es ist ein Befehl. Sogar ein Befehl, der geheim ist.«
    Der März zog sich mit Warten dahin. Bei mehreren Gelegenheiten suchte er das Hauptquartier der Marine auf, ohne eine Erklärung dafür zu erhalten, warum die schriftliche Bestätigung über die Dauer des ihm zugesagten Urlaubs so lange auf sich warten ließ.
    Leutnant Berg hielt sich nie in seinem Zimmer auf. Adjutant Jakobsson war ebenfalls verschwunden. Niemand konnte ihm Auskunft geben. Aber alle versicherten übereinstimmend, daß nichts geschehen sei, was die Situation verändert habe. Es ging nur um bestimmte Abläufe, die wegen des Kriegs ins Stocken geraten waren.
    An einem kalten und klaren Abend Ende März verließ er die Wohnung in der Wallingata, nachdem er seiner Frau, der übel war, gute Nacht gesagt hatte. Er ging hinauf zum Observa-toriekullen und betrachtete den Sternenhimmel.
    Einmal im Jahr, meist in einer klaren Winternacht, unternahm er eine Pilgerreise zu den Sternen. Während seiner Zeit als junger Kadett hatte er die Sternkarten studiert und eine Reihe von astronomischen Lehrbüchern gelesen.
    Er stand neben dem dunklen Observatorium und betrachtete den Sternenhimmel.
    Er stellte sich vor, daß der Sternenhimmel und das Meer aneinander erinnerten, wie zwei diffuse und nicht ganz zuverlässige Spiegelbilder. Die Milchstraße war ein Archipel, wie ein Küstenstreifen, der sich da draußen im All erhob. Es glitzerte wie von Laternen, er stellte sich vor, daß es dort auch grüne und rote Lichter gab, und er suchte nach Fahrwassern, Strecken zwischen den Sternen, welche die größten Kriegsschiffe befahren konnten, ohne Gefahr, auf Grund zu laufen.
    Es war ein Spiel mit Karten, die nicht existierten. Kein Schiff segelte im All, zwischen den Sternen gab es keine Untiefen.
    Aber im All gab es die bodenlosen Tiefen. Vielleicht suchte er im Meer eigentlich die Öffnung zu einer anderen Welt, einem All, das sich zutiefst da unter der Oberfläche verbarg, wo unbekannte Fische ihre geheimen Strecken entlangschwammen.
    Er blieb eine Stunde dort und war ganz durchgefroren, als er nach Hause kam. Seine Frau schlief. Er öffnete vorsichtig die Tür zum Zimmer des Dienstmädchens. Sie schnarchte mit offenem Mund.
    Die Decke war bis zum Kinn hochgezogen.
    Er setzte sich in das wärmste Zimmer, stocherte in der Glut im Kachelofen, trank einen Kognak und überlegte, wo Fregattenkapitän Rake sich aufhalten mochte.
    Der Winter war hart gewesen, wenige Häfen waren eisfrei. Die Marine hatte ihre Ressourcen auf die südlichen und westlichen Küsten konzentriert. Irgendwo dort befand sich Fregattenkapitän Rake. Bestimmt schlief er. Er war Frühaufsteher.
    Lars Tobiasson-Svartman war ungeduldig. Die Würde Sara Fredrika noch dasein und auf ihn warten? Oder würde sie schon auf und davon sein? Er stocherte in der Glut. Das Bild von Sara Fredrika kam und ging.
    Spätnachts.
    Er saß an seinem Schreibtisch, die Lampe mit dem grünen Glasschirm brannte. Er machte sich Notizen. Was maß er eigentlich? Entfernungen, Tiefen, Geschwindigkeiten. Aber auch Licht, Dunkel, Kälte, Wärme. Und Gewichte. All das, was außerhalb seiner selbst war, was das Zimmer ausmachte, in dem er sich befand, die Schiffsdecks, den jährlichen nächtlichen Besuch auf dem Observatoriekullen.
    In seinem Innern maß er etwas anderes. Ausdauer, Widerstandskraft. Lüge und Wahrheit. Unruhe, Freude, Eingesperrtsein. Das Sinnvolle und das, was keinen Sinn hatte.
    Er hielt inne. Solche Listen hatte er schon oft erstellt. Sie blieben immer unvollendet. Was war es, was er vergaß ? Was war es, was er nicht sah? Es gab etwas, was er vermaß, ohne daß es ihm bewußt wurde.
    Er blieb lange am Schreibtisch sitzen. Schließlich schloß er die Papiere in seinen Schreibtisch ein, zusammen mit all den anderen Listen.
    Er ging ins Schlafzimmer. Kristina Tacker schlief. Vorsichtig berührte er ihren Bauch.
    Sara Fredrika, dachte er. Bist du noch da? Oder bist du übers Eis verschwunden?
    Eines Tages fand Kristina Tacker die große Geldsumme, die er bei der Handelsbanken geholt hatte. Das Geld lag unter einem Kalender auf seinem Arbeitstisch.
    »Ich lasse das Mädchen deinen Arbeitstisch nicht

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