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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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anrühren. Den mache ich selbst sauber. Eine Banknote schaute heraus. Ich habe all dieses Geld gesehen.«
    »Das stimmt. Es liegt eine große Geldsumme auf dem Tisch.«
    »Aber wieso?«
    »Wenn der Krieg kommt, kann es sein, daß die Banken zumachen. Ich habe Vorsorge getroffen.«
    Sie fragte nicht weiter.
    »Ich bin immer davon ausgegangen, daß meine Frau nicht in meinen Papieren schnüffelt.«
    Sie zitterte vor Erregung, als sie antwortete. »Ich stöbere nicht in deinen Papieren. Das einzige, was ich anrühre, sind deine Kleider, wenn ich dir die Koffer packe.«
    »Ich habe schon früher gemerkt, daß du meine Papiere durchgehst. Ich habe bisher nichts sagen wollen.«
    »Ich habe deine Papiere niemals angerührt. Warum wirfst du mir etwas vor, was nicht wahr ist?«
    »Dann sprechen wir nicht mehr über die Sache.«
    Sie stand auf und lief aus dem Zimmer. Er hörte die Schlafzimmertür zuschlagen. Natürlich waren die Anschuldigungen grundlos. Aber er verspürte keinerlei Reue.
    Bald ist die Wartezeit vorbei, dachte er. Irgendwann, in einer fernen Zukunft, werde ich ihr vielleicht erklären können, daß sie mit einem Mann verheiratet war, der nie ganz und gar sichtbar war, nicht einmal für sich selbst.
    Zwei Tage lang herrschte Schweigen. Das Dienstmädchen strich an den Wänden entlang. Am dritten Tag kehrte die Normalität wieder ein.
    Kristina Tacker lächelte. Lars Tobiasson-Svartman erwiderte ihr Lächeln.
    Draußen hatte der Schnee angefangen zu schmelzen.
    Am 3. April bekam er die Bestätigung für einen unbezahlten Urlaub, der bis zum 15. Juni 1915 galt. Er könnte nur dann widerrufen werden, wenn Schweden direkt in den Krieg hineingezogen würde.
    Seine Koffer waren schon gepackt. Am 5. April nahm er von seiner Frau Abschied. Sie begleitete ihn zum Bahnhof. In der Hand hielt er eine Fahrkarte nach Skövde und Karlsborg.
    Sie winkte. Er schaute auf ihre Hand und dachte, daß sie oft so kalt war.
    In Katrineholm stieg er aus dem Zug und kaufte eine neue Fahrkarte nach Norrköping. Er leerte seine Koffer und verstaute den Inhalt in seinen beiden Säcken. Nachdem er die Namensschilder entfernt hatte, ließ er die Koffer im Schatten eines Gepäckwagens stehen.
    Das Eis war weicher geworden.
    Aber es lag immer noch bis weit hinaus zu den äußersten Schären.
    Ein Dunstschleier hing über dem Himmel. Er ging schnell.
    In einer Bucht in der Nähe von Hässelskären fand er einen im Eis festgefrorenen Schuh. Die Sohle zeigte nach oben, als hätte der Träger im Eis auf dem Kopf gestanden. Es war ein Männerschuh, ein derber Stiefel, geflickt, ein Schuh für einen großen Fuß.
    Er blieb stehen und blickte rundumher. Da war nur der Schuh. Keine Fußspuren, nichts.
    Er setzte die Wanderung fort, ging so schnell, daß er außer Atem geriet. Hin und wieder blieb er stehen und richtete den Feldstecher auf das Gebiet, das er schon hinter sich hatte. Natürlich folgte ihm niemand.
    Auch diesmal machte er Rast auf Armnö, es war seine dritte Nacht. Jemand war im Geräteschuppen gewesen. Die Heringsnetze waren weg, eine frisch geflochtene Hechtreuse stand in einer Ecke.
    Er aß sein Konservenfleisch und machte Feuer. Er war ungeduldig. Der festgefrorene Schuh gab ihm zu denken.
    Am folgenden Tag stand er früh auf und setzte die Wanderung übers Eis fort.
    Wind war aufgekommen, ein nordöstlicher, leicht böiger Wind.
    Im Uddskärsfjärden, jenseits von Höga Lundsholmen, begegnete er zwei Menschen. Sie tauchten hinter der Schäre auf, wie aus dem Nichts.
    Er nahm das Zuggeschirr ab, an dem die Säcke festgemacht waren. Als würde er seine Waffen ablegen.
    Es waren ein Mann in seinem Alter und ein Junge, zwölf oder dreizehn Jahre alt. Der Junge war behindert, hatte einen mißgestalteten Kopf. Der Schädel war viel zu groß, die Haut spannte über den hohen Backenknochen. Außerdem war er einäugig, seine linke Augenhöhle war nur ein verschrumpelter Hautsack. Ihre Kleider waren zerfetzt, das Gesicht des Mannes war mager, seine Augen waren unstet. Sie betrachteten ihn ängstlich. Der Junge hielt den Mann an der Hand.
    »Es ist selten, daß man Menschen auf dem Eis trifft«, sagte Lars Tobiasson-Svartman.
    »Wir sind unterwegs nach Kalmar«, erwiderte der Mann. »Wir kommen aus dem Norden. Es geht schneller, übers Eis zu laufen, wenn es trägt.«
    Der Mann hatte einen Dialekt, den er nicht kannte.
    »Von Norden?« sagte er. »Wie weit? Weiter als Söderköping?«
    »Wo Söderköping liegt, weiß ich nicht. Wir kommen

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