Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
Pläne.
Sie hatte Nick seit drei Tagen nicht gesehen. Nicht seitdem Eddie sie hinter dem Laden gestört hatte. Nick war an dem Abend nicht zu Hause gewesen, als Bess nach der Arbeit bei ihm vorbeigefahren war. Er war auch am nächsten Tag nicht vorbeigekommen, und sie war nicht noch einmal zu seiner Wohnung gefahren. Sie war nicht dumm oder so verzweifelt, dass sie ihn unbedingt aufspüren musste, wo immer er sich auch aufhielt.
Gut, sie war also nicht dumm. Aber nach drei Tagen ohne Nick schien ihr die Verzweiflung gar nicht mehr so … verzweifelt.
„Du siehst hübsch aus, Süße.“ Tante Carla strahlte Bess unter ihren aufgetürmten blonden Locken an. „Kannst du die Schüssel mit dem Krautsalat mitbringen? Ich dachte, wir essen heute draußen. Tony, aufstehen!“
Onkel Tony schnarchte erschrocken auf, blinzelte, und setzte sich langsam hin. „Was?“
Tante Carla verdrehte die Augen. „Abendessen, Tony. Sag bitte den Mädchen Bescheid.“
Bess schnappte sich die Schüssel mit dem Salat und brachte sie nach draußen, wo ihre Tante bereits den Tisch gedeckt hatte. Die im Wind flatternden Servietten wurden von einer schweren Muschel gehalten. Bess stellte die Schüssel ab und schaute durch die Schiebetür nach drinnen, wo sie ihre Tante, ihren Onkel und die Cousinen sah, die sich das restliche Essen schnappten und nach draußen kamen. Auch sich selbst konnte sie sehen, sowie die Wolken und den Himmel hinter sich. Einmal blinzeln, und sie sah die Familie im Haus. Noch einmal blinzeln, und sie sah das Mädchen vor dem Fenster. Es war echt verwirrend, und schnell wandte sie dem Bild ihres eigenen Geistes den Rücken zu.
In diesem Moment sah sie ihn, er stand im Sand. Mit den Händen in den Taschen starrte Nick zur ihr hinauf. Bess hob eine Hand, um ihm zu winken, ihr Herz klopfte und ihre Lippen weiteten sich zu einem dicken Grinsen. Er winkte nicht zurück.
„Bess, Liebes?“ Tante Carlas Stimme war mit einem Mal so nah, dass Bess zurückzuckte. „Ist das ein Freund von dir? Warum lädst du ihn nicht ein? Wir haben genug zu essen da.“
Nachdem Nick nicht zurückgewunken hatte, hielt Bess das Geländer fest umklammert, um nicht noch einmal zu winken. Jetzt drehte er sich zum Meer um, schwang den Arm zurück und ließ los. Bess sah zu, wie der Stein über die kleinen Wellen hüpfte.
„Oh … nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ist schon okay.“
Es war schlimm genug, dass sie ihn seit drei Tagen nicht gesehen hatte, aber zu wissen, dass er ihr Haus beobachtete und sie dennoch ignorierte? Entschlossen drehte Bess sich um und lächelte ihre Tante an, die noch einen Blick über die Schulter ihrer Nichte warf, es dann aber gut sein ließ.
Neben dem dicken Stein in Bess’ Magen war kein Platz mehr für ein Abendessen. Trotzdem zwang sie sich zu essen. Kleine Bissen Steak, eine halbe Kartoffel, ein- oder zweimal am Mais knabbern. Es war Wochen her, dass sie etwas so gutes gegessen hatte, und sie verfluchte Nick dafür, dass sie es seinetwegen nun nicht genießen konnte.
„Du wirst mir noch vom Fleisch fallen“, schalt Tante Carla sie, als Bess ihr half, den Tisch abzuräumen.
Die Cousinen waren schon wieder in ihrem Zimmer verschwunden, um den Lippenstift nachzuziehen und sich die Haare zu richten. Tony hatte sich mit der Zeitung ins Hauptbadezimmer verzogen. Es machte Bess nichts aus, ihrer Tante zu helfen. Sie hatte ja sonst nichts vor.
Nachdem das Geschirr weggeräumt war, las sie noch ein wenig in ihrem Zimmer. Das Buch, ein zerfleddertes Exemplar über Zwillinge, die ein Geheimnis miteinander teilten, war so lange Teil der Familienbibliothek, wie sie sich erinnern konnte. Sie hatte es auch jeden Sommer, an den sie sich erinnern konnte, gelesen. Aber dieses Jahr gelang es den vertrauten Szenen nicht, sie zu erfreuen oder ihr wohlige Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Zum Teil lag das an ihrem Alter. Kichernde Bemerkungen über Freakshows mit Hermaphroditen und abgeschnittene Finger in Ringschachteln waren schockierend, als sie noch jünger gewesen war, aber im Kabelfernsehen hatte sie schon weit schlimmere Sachen gesehen.
Sie warf das Buch auf ihren Tisch. Ihr Bett war ungemacht. Ihre Laken müssten mal wieder gewaschen werden, genau wie die Tagesdecke. Ihr Kopfkissen war ganz plattgedrückt. Sie grummelte, sie seufzte, sie überlegte, sich mit der Vertrautheit ihrer eigenen Hand zur Ruhe zu bringen, aber konnte keinen rechten Enthusiasmus dafür aufbringen.
Sie scherte sich weder um
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