Tiefer Schmerz
Vielfraßgraben gestürzt, von Vielfraßkot überhäuft worden war und sich ein paar Nackenwirbel gebrochen hatte.
Er sah sich um. Das Territorium der Vielfraße war recht weitläufig, ein welliges Gelände, das sich hinauf zu einer verhältnismäßig hohen Hügelkuppe erstreckte. Hier und da waren Löcher im Boden zu sehen, wahrscheinlich Baue, und große Teile des grasbewachsenen Terrains waren von klitzekleinen Stoffstückchen bedeckt, fast wie Federn verschiedener Farben und verschiedenen Materials. Die Kriminaltechniker taten alles, was in ihrer Macht stand, um zu verhindern, daß der mäßige Morgenwind sämtliche Fasern davontrug.
Paul zeigte auf die Fasern. Jorge nickte, nahm ihn am Arm und führte ihn in Richtung der hinteren Ecke des Vielfraßgeheges, wo der Graben nur eine senkrecht abfallende Betonwand von drei Metern Tiefe hinunter zu dem eher erdigen als grasbewachsenen Boden war. »Fangen wir von vorn an«, sagte er.
Die Fasern hatten hier, zumindest teilweise, etwas zusammenhängendere Formen, vor allem ein hellrosafarbenes Hosenbein.
Aus dem Hosenbein schauten etwa zehn Zentimeter eines abgenagten Knochenpaars heraus.
Wahrscheinlich ein Schienbein und ein Wadenbein.
»Das ist das größte Stück, das übriggeblieben ist«, sagte Chavez bedächtig und ging in die Hocke. Hjelm tat es ihm nach und wartete auf die Fortsetzung. Sie kam.
» Gulo gulo heißen sie. Lateinisch für Vielfraß. Süße kleine Viecher. Sehen wie goldige Bärenjunge aus. Familie der Marder. Die nächsten Verwandten sind Dachs, Baummarder, Iltis, Wiesel, Otter und Nerz. Sie sind von der Ausrottung bedroht, und es gibt in Schweden nur noch rund hundert. Hoch oben im Gebirge. Sie werden einen Meter lang und ernähren sich in der Regel von Erdmäusen und Lemmingen. Doch manchmal wechseln sie das Beutetier …«
Hjelm stand auf und streckte den Rücken. »Okay«, sagte er tastend. »Jemand war betrunken, ist ins Skansen geklettert und zu den Raubtieren hier hineingefallen. Es kann nicht das erste Mal gewesen sein.«
»Hätte ich dich dann hergerufen?« sagte Chavez und sah ihn scharf an. »Dies sind ungewöhnlich präzisionsangepaßte Mörderbestien. Kennst du deinen Ellroy nicht? Bei der geringsten Provokation reißen sie einen Menschen in Stücke, besonders wenn sie in Gruppen zusammenarbeiten. Ihre Schnauzen sind Bolzenschneider. Sie brechen umstandslos Knochen und zermalmen sie. Im Grunde haben wir Glück, daß überhaupt noch was übrig ist.«
Mit Hilfe eines Bleistifts hob Chavez vorsichtig den Stoff des gekappten Hosenbeins an. Etwas weiter oben im Verborgenen saß noch Fleisch an den Knochen und hielt sie zusammen. Da saß auch ein Knoten, an einem Stück Tau.
»Aha«, sagte Hjelm und ging wieder in die Hocke.
»Das kann man wohl sagen«, übernahm Chavez und fügte hinzu: »M.«
»O«, sagte Hjelm.
»R«, sagte Chavez.
»D«, sagte Hjelm.
»Ohne Zweifel«, sagte Chavez. »Und es wäre schön, wenn wir einen Kopf finden könnten. Und hier haben wir auf jeden Fall eine Variante des Themas«, fuhr er fort und hielt den alten Gerichtsmediziner Qvarfordt auf. »Gibt es etwas Neues, guter Mann?« fragte er galant.
»Nix«, entgegnete der trotz Pensionierung unermüdliche Sigvard Qvarfordt und schob mit einer routinierten Kaubewegung das zu locker sitzende Gebiß an seinen Platz. »Kein Kopf, keine Finger. Schwer zu identifizieren. Für einen DNA-Befund sollte es reichen, doch wie ihr wißt, ist das System nicht besonders gut ausgebaut. Aber es ist ein Mann. Erwachsenes Individuum männlichen Geschlechts, also. Der Gerinnungsgrad des Bluts läßt auf gestern abend bis in die Nacht schließen. Und es wäre ja auch erstaunlich, wenn er länger gelegen hätte. Kindereltern und ähnliche Elemente hätten sicher Anstoß daran genommen, wenn unser Freund am hellichten Tag konsumiert worden wäre. Sonst habe ich nichts zu bieten.«
In diesem Moment heulte ein Kriminaltechniker oben auf dem Hügel auf und wedelte mit etwas, das er aus einem der Löcher herausgeholt hatte. Es sah aus wie eine Vielfraßkackwurst. Paul Hjelm ließ sich das Wort ein paarmal im Mund herumgehen. Hatte er dieses Wort in seinem bisherigen Leben schon benutzt? Die Wahrscheinlichkeit war gleich Null.
»Vermutlich ein Vielfraßpimmel«, flüsterte Chavez in Bühnenlautstärke.
»Hoffentlich war der Vielfraß nicht mehr in der Höhle«, flüsterte Hjelm deutlich vernehmbar zurück.
Während der Techniker den Hügel herunterrutschte, dachte Hjelm
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