Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
langweilig erscheint. Lassen Sie uns die Getränke genießen und danach zu einem anderen Gesprächston finden.«
    Söderstedt, der normalerweise eine gute Nase für Stimmungen hatte, eine Atmosphäre sozusagen erschnuppern konnte, erkannte auf der Stelle, daß Italo Marconi recht hatte. Er nickte leicht und sagte: »Sie haben vollkommen recht. Ich bitte um Entschuldigung.«
    Das geschah nicht gerade häufig.
    Als das Gespräch jetzt zu Familienbildung und Wohnverhältnissen hinübergelenkt wurde, begann Arto Söderstedt zu verstehen, wie die italienische Art zu arbeiten aussah. Er erholte sich gerade von einem Unfall.
    Einem Zusammenprall von Kulturen.
    Der Kaffee kam. Die sehr kleine Grappa erwies sich als ein bis zum Rand gefülltes Trinkglas. Marconi hob leicht das Glas, und Söderstedt erwiderte die Geste. Dann nippte er ein wenig an der Grappa, die von der feineren Sorte war und nicht nach Industrieabfällen schmeckte, sondern wirklich nach Trauben. Der italienische Branntwein Grappa wird ja bekanntlich auf den Weingütern aus Trester hergestellt.
    »Sehr gut«, sagte Söderstedt.
    »Es freut mich, daß er Ihnen schmeckt«, sagte Marconi.
    »Er kommt aus Ihrer Gegend, vom Weingut Castello di Verrazzano in den unwegsamen Hügeln nördlich von Greve. Meiner Ansicht nach machen sie dort außer einer hervorragenden Grappa einen der besten Weißweine des Chianti, was ja sonst kaum die Spezialität der Toskana ist.«
    Dann tranken sie ein wenig großartigen Espresso, und die sehr dichte Schaumschicht verriet, daß die Polizeistation irgendwo im Schreibtischdschungel ihre eigene Espressomaschine versteckt hatte.
    »Und jetzt«, sagte Marconi und stellte die kleine Kaffeetasse ab, »jetzt möchte ich ein paar Worte über Nikos Voultsos sagen. Ich habe ein einigermaßen klares Bild von den Stockholmer Ereignissen, und vieles paßt zu dem, was wir über Voultsos und seinen Arbeitgeber wissen. Was aus dem Rahmen fällt, ist natürlich Ihr Nobelpreisträger.«
    Kandidat, dachte Söderstedt, sagte es aber nicht. Er hatte etwas dazugelernt. Obwohl er schon ein alter Hund war.
    Marconi fuhr fort: »Nein, von unserer Seite können Sie nicht mit einer Verknüpfung zwischen Nikos Voultsos und diesem« – er las von einem Blatt ab – »Leonard Sheinkman rechnen. Ich kann Ihnen auch keine Hinweise geben, was die Identität des Mörders betrifft. Dagegen kann ich möglicherweise mit einem Vorschlag zur Klärung des Motivs beitragen. In Europa geht eine Art Krieg vor sich. Jetzt, wo Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammentreffen – mehrere unterschiedliche Arten von Kriminalität –, bedeutet das einen unentwegten Kampf um die Kontrolle über die großen Bereiche: Drogen sind ja lange der wichtigste gewesen, Waffen sind natürlich ein bedeutender, Alkohol und Zigaretten ebenso, während beispielsweise Datenschmuggel und Schmuggel von Diebesgut in den Osten relativ neu sind, vor allem von im Westen gestohlenen Autos und Booten. Doch der richtig große neue Markt sind Frauen, und in ganz besonderem Umfang osteuropäische Frauen. Die großen Verbrechersyndikate haben angefangen, dies zu erkennen, und drängen energisch in die Prostitutionsbranche. Von Bordellen zu sprechen wäre kaum das richtige Wort – es gibt sie natürlich, aber das ist zweitrangig –, nein, es geht um Kontrolle über die Prostitution in ihrer Gesamtheit, vom elegantesten Hostessendienst bis zu den heruntergekommensten Huren an den Straßenecken. Offenbar sind wir Männer bereit, für Sex das meiste Geld auszugeben, mehr als für Alkohol und Drogen. Vielleicht verbirgt sich im Innersten dieser monströsen Tatsache doch eine Art von Hoffnung. Obwohl auch Hoffnung kaum das richtige Wort ist, wenn es das Gewerbe als solches betrifft. Die Prostitution geht immer eindeutiger Hand in Hand mit dem Drogengeschäft. Man hält die Frauen mit Drogen in Schach, bis sie verbraucht sind. Dann wirft man sie weg und schafft aus einem unerschöpflichen osteuropäischen Vorrat neue heran. Was wir beobachten, ist, daß Frauen unerhört viel schneller verschlissen werden als früher. Als Hure ist man heutzutage mit dreißig am Ende. Und dann ist man in der Regel tot. Zumindest wenn man aus dem Osten kommt.«
    Marconi zündete sich eine Zigarette an und hielt Söderstedt die Schachtel hin, der ohne nachzudenken eine nahm. Da er in seinem Leben bisher erst drei Zigaretten geraucht hatte, war es allein die Grappa, die die nächsten zehn Minuten erträglich machte.
    Und

Weitere Kostenlose Bücher