Tiefer Schmerz
Er gewann äußerst selten.
»Hier finden sich auch die Namen sämtlicher Verdächtiger, der des Bosses, unseres Bankiers, eingeschlossen. Ihr Anstellungsvertrag erlegt Ihnen Schweigepflicht auf, und jede Andeutung dessen, daß jemand anderer als Sie selbst diese CDs angerührt hat, wird als Dienstvergehen behandelt. Ist das klar?«
»Das ist klar«, sagte Söderstedt. »Nur eins noch. Die sehr eigentümliche Hinrichtungsmethode. Sind Sie jemals auf etwas Ähnliches gestoßen?«
»Sie meinen die Wiesel?« sagte Italo Marconi und lächelte.
»Nein, ich meine die Nadel im Gehirn. Ich meine das Aufhängen mit dem Kopf nach unten.«
Der Commissario nickte. Das hatte er verstanden. Das mit den Ottern und Dachsen und Wieseln war eine Art Spiel, das Söderstedt nicht verstand – noch nicht. Aber Marconi wußte, daß er es bald verstehen würde. Er wartete ab. »Ich habe ein paar Leute darauf angesetzt«, sagte er.
»Wir gehen zur Zeit alle Mordfälle in Italien durch und suchen nach vergleichbaren Morden.«
»Das habe ich vermutet«, sagte Söderstedt. Er glaubte, daß Marconi die Anerkennung wahrnahm, die sich in dieser Äußerung verbarg.
Dessen Lächeln verriet, daß es sich so verhielt.
Er stand auf und streckte die Hand aus. Söderstedt ergriff sie. Sein Respekt vor der italienischen Polizei war beträchtlich gestiegen.
»Ich habe das Gefühl, daß wir voneinander hören werden«, sagte Italo Marconi und strich sich über seinen enormen Schnauzbart.
»Das Gefühl habe ich auch«, sagte Arto Söderstedt, schüttelte die ausgestreckte Hand und wandte sich zum Gehen. Als er die Tür erreichte, hörte er Marconis Stimme:
»By the way, do you know what ›ghiottone‹ means?«
Söderstedt wandte sich um. »No«, sagte er.
»Ghiottone means wolverine«, sagte Italo Marconi.
Söderstedt lachte auf.
Wolverine bedeutet nämlich Vielfraß.
17
Andersson hieß mit Vornamen Hubald.
Hubald Andersson.
Gunnar Nyberg wußte nicht recht, was er davon halten sollte, daß ein sportlicher, ziemlich robuster und frischexaminierter vierundzwanzigjähriger Bulle mit einem Blick, der töten konnte, mit Vornamen Hubald hieß.
Schallend loszulachen war im Moment jedenfalls nicht drin.
Die kleine dunkle Frau um die Fünfzig saß in ihrem Büro und sah russisch aus. In glockenreinem Schwedisch sagte sie: »Ich heiße also nicht Ludmila Engquist. Sie ist Hürdenläuferin und im Moment, glaube ich, so schwer verletzt, daß sie bei den Olympischen Spielen in Sydney nicht antreten wird. In ein paar Monaten wird sie eine Presseerklärung abgeben, daß sie aufhört. Glauben Sie mir. Ich heiße Ludmila Lundkvist und bin Dozentin für slawische Sprachen hier an der Uni. Und Sie sind die Kriminalinspektoren Gunnar Nyberg und Viggo Norlander und Polizeiassistent Hubald Andersson. Ist das korrekt?«
»Viggo?« sagte Hubald Andersson spontan.
»Hubald?« sagte Viggo Norlander spontan.
Dann brachen beide in schallendes Gelächter aus.
Ludmila Lundkvist sprach danach ausschließlich mit Gunnar Nyberg, der offenbar ein besonnener, schicker, großgewachsener Mann im besten Alter war.
»Sind Sie Russin?« fragte der besonnene, schicke, großgewachsene Mann im besten Alter.
»Ja«, sagte Ludmila Lundkvist und lächelte. »Ich komme aus Moskau. Ich habe mich in einen schwedischen Forscher verliebt, der sich mit Altrussisch beschäftigte und Ende der siebziger Jahre eine Konferenz in Moskau besuchte. Auf verschlungenen Wegen bin ich aus der Sowjetunion geflohen und ihm nach Schweden gefolgt, wo wir heirateten. Vor fünf Jahren ist er an Hodenkrebs gestorben. Wir hatten keine Kinder.«
Gunnar Nyberg hatte eine so detaillierte Erklärung vielleicht nicht erwartet, und er war noch zu frisch und unerfahren auf dem Heiratsmarkt, um zu bemerken, daß mit ihm geflirtet wurde. »Das tut mir leid«, sagte er nur.
»Und Sie, sind Sie verheiratet?«
»Nein«, sagte Nyberg verwundert und ergänzte: »Geschieden.«
Ludmila Lundkvist nickte lächelnd, legte drei Zettel vor sich auf den Schreibtisch und sagte: »Ich nehme an, Gunnar, Sie waren derjenige, der auf die Idee kam, das, was Sie aus dem Mobiltelefon gehört haben, aufzuschreiben?«
Nyberg konnte das nicht abstreiten.
»Das dachte ich mir«, sagte Ludmila und gab ihm einen Blick, den zirka vierundachtzig Prozent der männlichen Bevölkerung des Landes als sexy aufgefaßt hätten. Gunnar Nyberg war vor allem verwirrt.
»Ich möchte, daß Sie sich zwei Stimmen anhören«, fuhr sie fort.
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