Tiefer Schmerz
gewesen, die Stadt, in der Goethe die Weltliteratur verändert hatte. 1919 wurde in Weimar die erste deutsche Demokratie geschaffen, die Weimarer Republik. 1926 wurde in Weimar die Hitlerjugend gegründet. Im selben Jahr hielt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP ihre erste Parteiversammlung im Nationaltheater in Weimar ab. Zwischen 1937 und 1945 saßen zweihundertachtunddreißigtausend Menschen in Buchenwald gefangen. Es gab in Buchenwald keine Gaskammern, wohl aber eine Abteilung für ›medizinische Forschung‹. Sechsundfünfzigtausend Menschen starben in Buchenwald, fast in Sichtweite von Goethes Weimar. Zwischen 1945 und 1950 war Buchenwald ein sowjetisches Internierungslager für Deutsche. Weitere siebentausend Menschen starben.
Das europäische Paradox.
Paul Hjelm wollte sich zur Seite drehen, um das Licht auszumachen.
Da merkte er, daß es schon aus war.
Er schlief spät ein in dieser Nacht.
21
Hearts war nur noch eine Erinnerung. Auf dem Laptop im Haus unterhalb der mittelalterlichen Stadt Montefioralle bei Greve im Herzen des Chianti wurden keine Spiele mehr gespielt.
Es wurde Italienisch gelesen.
Es war Schwerstarbeit, sich durch Kommissar Italo Marconis Ermittlungsmaterial über das Mailänder Verbrechersyndikat Ghiottone hindurchzupflügen. Außerdem kamen aus Stockholm ständig neue Informationen per Mail, Telefon oder Fax.
Aber war man nun einmal Europabulle, so war man es.
Sinn und Zweck von Europol, der europäischen Organisation für Verbrechensbekämpfung mit Sitz in Den Haag, war die Verbesserung der Effektivität und der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedsländer bei der Vorbeugung und Bekämpfung von Terrorismus, illegalem Drogenhandel und anderen schwerwiegenden Formen organisierter internationaler Kriminalität. Europol hatte die Aufgabe, einen wesentlichen Beitrag zu den Maßnahmen der Europäischen Union gegen das organisierte Verbrechen zu leisten, und zwar mit besonderer Betonung auf den beteiligten kriminellen Vereinigungen.
»Okay«, sagte Söderstedt zu seinem Laptop, als er mit einem weiteren Glas Vin Santo in der Hand auf der Veranda saß. »Okay, das war ein Zitat. Computer, ich gestehe. Ich wußte ja nicht einmal, daß ich Eurobulle war, als ich nach Mailand gefahren bin. Ja, klar: Ich sitze hier mitten in der Siesta und zitiere Polizeivorschriften vor mir selbst als einzigem Zeugen. Und dir natürlich, Computer.«
»Mit wem redest du?« rief Anja aus dem Haus. Sie hatte im Kräuterbeet einen prächtigen Strauch Purpurkrausbasilikum aufgezogen und wirkte zur Feier des Tages ordentlich aufgedreht. Es war nicht der passende Zeitpunkt, mit einem Computer fremdzugehen.
»Mit dem Computer«, rief Arto zurück.
»Ich verstehe«, rief Anja. »Komm lieber und sag den Kleinen gute Nacht.«
»Wo ist Mikaela?« rief Arto.
»Was glaubst du?« rief Anja.
Ach, es war ein ständiges Rufen in dieser Familie.
Arto vergaß auf der Stelle, den Kleinsten gute Nacht zu sagen, und wandte sich von neuem dem Computer zu. Genaugenommen war der ja das jüngste Familienmitglied. Obwohl, na gut, er sagte ihm nicht gute Nacht.
Statt dessen teilte er ihm ohne Vorwarnung den Namen des alten Bankiers mit, der verdächtigt wurde, der unumschränkte Herrscher von Ghiottone zu sein. Er hieß Marco di Spinelli.
Es gab eine ganze Reihe Bilder von diesem Marco di Spinelli. Er sah sie sich an, eins nach dem anderen. Es war ein alter, aber zäher, magerer Herr, überhaupt nicht so, wie man sich einen Mafiaboß vorstellt. Aber er war auch Norditaliener. Aktiv in der Separatistenbewegung Lega Nord und allem.
Es gab sogar ein Bild von Marco di Spinelli, zusammen mit Nikos Voultsos. Wahrlich ein ungleiches Paar. Der aristokratische alte Silberfuchs mit hochgeschlossenem schwarzem Polohemd, und der rauhbeinige Grieche im hellrosa Anzug, mit offenem Hemd und üppiger Brustbehaarung und auffallend dicker Goldkette um den Hals. Sie begrüßten sich vor einem Luxusrestaurant im Zentrum von Mailand. Marco di Spinelli hatte die linke Hand auf Nikos Voultsos’ Schulter gelegt, und Voultsos’ Lächeln wirkte ziemlich unterwürfig.
Paul Hjelm hatte angerufen und über Erinnyen geredet. Außerdem hatte er zu berichten gewußt, daß Voultsos einen Koffer mit Sachen und eine Visakartennummer hinterlassen hatte. Der Koffer hatte lediglich Kleidung und Wäsche enthalten; falls es im Zimmer noch Drogen irgendwelcher Art gegeben hatte, so waren diese in unbekannten
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