Tiefes Land
Fachseminar ist, bleibt mir anscheinend nichts anderes übrig. Also, was wollen Sie wissen?«
»Das Wichtigste zuerst: Wann kann ich mit unserem Mann sprechen? Die Zeit brennt mir etwas unter den Nägeln.«
»Das ist schwer zu sagen. Normalerweise dauert die Bewusstlosigkeit bei einem Schädel-Hirn-Trauma nie länger als eine halbe Stunde. Dass es bei ihm immer noch anhält, ist mehr als ungewöhnlich. Wir tun, was wir können, aber ich kann ihnen nichts versprechen.«
»Natürlich. Was haben sie sonst für mich?«
»Das Blutbild des Patienten weist teilweise seltsame Werte auf. Ganz so, als ob er einiges mehr intus hätte, als gesund ist.« Er deutete eine fahrige Handbewegung an.
»Drogen?«
»Das lässt sich jetzt noch nicht hundertprozentig sagen. Ich bekomme die Ergebnisse im Laufe des Nachmittages. Dann wissen wir mehr.«
»Bitte verständigen Sie mich umgehend, sobald es etwas Neues gibt.«
»Selbstverständlich. Ich rufe sie sofort an.«
15:03 Uhr, 4. Mai, AMC, Amsterdam
Vier Stunden später kam der erlösende Anruf aus dem AMC. Der Patient war aufgewacht. Der Timer zeigte unterdessen nur noch knapp dreißig Stunden an.
Willem fuhr umgehend zurück ins AMC, in der Hoffnung, endlich mehr über die Hintergründe des Überfalls und der Entführung zu erfahren. Bisher waren die Ergebnisse eher unbefriedigend gewesen. Nichts, was die Täter am Tatort zurückgelassen hatten, ließ irgendeinen Schluss zu. Auch Tessa hatte bislang keine weiteren Informationen ausgraben können, die ihm weitergeholfen hätten. Allerdings musste er zugeben, dass die Agentin mit der Identifizierung des Söldners gute Arbeit geleistet hatte.
Der Mann aus dem Kofferraum des Vans, blickte den Agenten mit tief in den Höhlen liegenden Augen erwartungsvoll an, als er in das funktional eingerichtete Krankenzimmer eintrat. Ein Verband war um seinen Kopf geschlungen und verdeckte die große Platzwunde am Hinterkopf.
»Der Arzt hat mir gesagt, dass Sie kommen würden. Und Fragen hätten. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die schnelle Rettung. Wissen Sie, wie es ist, stundenlang gefesselt in einem dunklen Kofferraum zu liegen? Es war nicht besonders erhebend, kann ich ihnen sagen.«
»Keine Ursache. Sie können sich gerne revanchieren, falls sie wollen. Willem van den Dragt, AIVD. Erzählen Sie mir am besten alles, an das sie sich erinnern.«
Der Fremde verzog betrübt das Gesicht.
»Es wäre schön, wenn das so einfach wäre. Es ist alles so ... Naja, zumindest mein Name ist mir eingefallen. Der Rest ...“ Er hustete. „Peer de Hag ... So heiße ich. Seit ich wieder bei Bewusstsein bin, zermartere ich mir den Kopf darüber, was eigentlich passiert ist. Aber irgendwie ist da nichts. Nur das Gefühl eines dicken, grauen und undurchdringlichen Knäuels Watte anstelle eines Gehirns. Eine beunruhigende Empfindung.«
Van den Dragt nickte verständnisvoll. Er kannte diesen Zustand. Bei einer Kletterpartie im Hindukusch vor zwei Jahren war er wegen einer Unvorsichtigkeit abgestürzt und hatte sich neben mehreren Prellungen auch einen kurzen Blackout eingehandelt. Das Gefühl danach war so ähnlich gewesen, wie es de Hag beschrieb.
»Ihr Arzt hat angedeutet, dass so etwas eintreten könnte. Eine Amnesie. Das vergeht mit der Zeit. Können sie sich vorstellen, warum man sie entführt hat?«
»Nein, tut mir leid. Der ganze Vorfall ist völlig absurd. Ich bin ein Mann aus einfachen Verhältnissen, verstehen Sie? Ich arbeite seit mehreren Jahren als Hausmeister für den Immobilienmakler Vandersee. Führe Reparaturen durch und sehe nach dem Rechten. Das Übliche.«
Willem warf dem Mann einen fragenden Blick zu. De Hag deutete ihn in richtiger Weise und fuhr fort.
»Gewiss ist Mijnher Vandersee ein vermögender Mann, aber würde er Lösegeld für mich zahlen? Sicher nicht. Warum sollte er auch? Ich bin niemand, der irgendjemandem nützen könnte. Dazu ist Mijnher Vandersee momentan nicht einmal im Land. Er macht einen mehrwöchigen Urlaub auf Borneo. Glauben Sie mir, ich wünschte wirklich, ich wäre in der Lage, Ihnen weiterhelfen. Ich habe nur nicht den Hauch einer Ahnung, wie ... Haben sie vielleicht eine Zigarette für mich? Eigentlich wollte ich das Rauchen aufgeben, aber irgendwie komme ich nicht davon los.«
De Hag lächelte gequält. Dann führte er seine Hand an den Verband an seinem Kopf und verzog das Gesicht vor Anstrengung.
»Bedaure, damit kann ich gerade nicht dienen«, verneinte Willem. »Ich bringe Ihnen beim
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