Tiefes Land
besonders witzig zu sein.« Angemer schnaubte verächtlich. »Ich will sofort Klartext hören. Andernfalls verlegen wir unser Gespräch ins Präsidium. Ihre Entscheidung.«
Willem haderte für einen Moment mit sich selbst. Er mochte Angemer nicht, was ihm bei dem ungepflegten Aussehen des Polizisten auch nicht sonderlich schwer fiel. Noch weniger gefiel es ihm, einer anderen Behörde Einzelheiten aus seinen Ermittlungen preiszugeben. Ein Blick auf die Uhr mahnte die verbliebenen neunundzwanzig Stunden an, die der Timer aktuell anzeigte. Verzögerungen konnte er sich jetzt definitiv nicht leisten und er zweifelte keine Sekunde daran, dass Angemer in der Lage war, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Zumindest vorübergehend. Allerdings würde dieser kleine Umweg wenigstens ein paar Stunden kosten. Stunden, die ihm momentan nicht zur Verfügung standen.
Tessa, in Begleitung der beiden Polizisten, schob sich in sein Blickfeld. Offensichtlich hatte sie sich einigermaßen gefangen, obwohl ihre Wangen immer noch sehr blass wirkten. Tessas Augen waren fest auf ihn gerichtet, während sie Angemer an seiner Stelle antwortete. »Ich erkläre es Ihnen.«
Widerstrebend hatten sowohl Willem als auch Angemer schließlich eingesehen, dass es besser war, wenn man zusammenarbeitete und sich nicht gegenseitig behinderte. Trotzdem würde Willem die Angelegenheit mit Tessa unter vier Augen besprechen, zu einem späteren Zeitpunkt. Er war wütend über ihr eigenmächtiges Vorgreifen, das eindeutig den Rahmen ihrer Entscheidungsgewalt überschritten hatte. Er war immer noch der Einsatzleiter und er hatte nicht vor, sich diese Position von seiner Kollegin streitig machen zu lassen. Dennoch ließ er es für jetzt auf sich beruhen und machte sich zusammen mit Angemer an die Untersuchung der Toten.
»Sehen sie die Einstiche? Der Täter hat seinem Opfer mehrere Injektionen verabreicht und sie anschließend bei vollem Bewusstsein mit einem Skalpell oder etwas ähnlich Scharfem aufgeschnitten.«
Willem roch prüfend an einer der geöffneten Ampullen. »Nahezu geruchlos. Es würde mich nicht wundern, wenn man bei der Analyse feststellt, dass es sich um Botox handelt.«
»Sie meinen, das ist das gleiche Zeug, was aus dem Labor gestohlen wurde?«, fragte Angemer zweifelnd.
»Bestimmt nicht. Die Frau ist seit wenigstens zwei oder drei Tagen tot. Das passt zeitlich nicht übereinander. Der Täter hat sie eine Weile angekettet, zumindest, bis die lähmende Wirkung des Giftes eingesetzt hat.«
Er deutete auf die Abschürfungen an Handgelenken und Knöcheln der Leiche. »Und dann ist er genüsslich seinem Hobby nachgegangen. Vermutlich blieb sie die ganze Zeit über bei Bewusstsein und hat alles mit ansehen müssen.«
»Was für ein perverses Arschloch«, wetterte Angemer entrüstet. »Ich frage mich nur, warum er es auf Studenten abgesehen hat.«
»Studenten?«
»Wenn mich nicht alles täuscht, ist das die Freundin von Adrian Frisberg, den es heute früh in einem Club erwischt hat. Gezielter Messerstich in die Lunge. Seine Eltern wussten nichts von ihr, daher hat es etwas gedauert, ihren vollständigen Namen herauszubekommen. Mieke Tervoren. Da ich sie weder in der Uni noch an ihrer Wohnung angetroffen habe, bin ich dem Tipp eines Mitstudenten gefolgt. Sie hat hier angeblich einmal gewohnt und zieht sich ab und zu in dieses Haus zurück, wenn sie nicht beim Lernen gestört werden will.«
»Das heißt, Sie waren noch nicht in ihrer Wohnung?«
»Sie meinen die im Jordaan-Viertel? Natürlich nicht, es gab ja auch keinen Anlass dafür. Jetzt allerdings schon, will ich meinen.«
23:34 Uhr, 4. Mai, Innenstadt, Amsterdam
Es war weit nach dreiundzwanzig Uhr als Willem müde in der kurzerhand eingerichteten Einsatzzentrale in einem Hotelzimmer des Golden Palace, einer kleinen Kaschemme nahe dem Zentrum, eintraf, um die Ergebnisse des Tages mit seiner Kollegin zu besprechen. Er hängte seine Jacke über die Lehne und ließ sich matt auf den Stuhl fallen.
Der Timer aus dem Van zeigte nur noch knapp zweiundzwanzig Stunden an. Ihm blieb nicht einmal ein Tag, um dahinter zu kommen, was hier eigentlich vor sich ging. Wenn Willem gedacht hätte, dass der Fall ihn bisher überrascht hatte, war er in den letzten beiden Stunden eines Neuen belehrt worden.
Mieke, die tote Studentin hatte ihre Wohnung in der Altstadt Amsterdams mit einer Kommilitonin geteilt. Sobald er sich das heillose Durcheinander in den Räumen zurück ins Gedächtnis rief, wunderte
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