Tiefes Land
nächsten Mal welche mit.«
»Danke. Luckys oben ohne, sollten Sie eine Schachtel auftreiben können.«
»Kein Problem. Am besten ruhen Sie sich ein wenig aus. Wenn es Ihnen recht ist, schaue ich nachher noch einmal bei Ihnen vorbei.« Damit wandte sich Willem zum Gehen. Er hatte sich deutlich mehr erhofft, als das, was er bisher bekommen hatte und es wurde Zeit, sich eine neue Strategie zu überlegen. Eine, mit der er irgendwie an die Hintermänner des Überfalls kam. Allerdings hatte er keinen Schimmer, wo er anfangen sollte. Bevor Willem jedoch das Krankenzimmer verlassen konnte, hielt ihn de Hag plötzlich auf.
»Warten Sie, ich erinnere mich an etwas. Das ist ... eine Adresse in Bijlermeer. Mijnher Vandersee hat dort ein Objekt stehen. Vielleicht bin ich da gewesen, ehe man mich... Tut mir leid. Ich kann ihnen beim besten Willen nicht mehr sagen.«
Erschöpft sank Peer de Hag zurück auf das Laken. Das Gespräch hatte ihn sichtlich mitgenommen.
Willem notierte sich die Anschrift, sah aber ein, dass es besser war, dem Mann etwas Ruhe zu gönnen. Was er erfahren hatte, war zwar nicht viel, jedoch immerhin ein Anfang.
Kaum hatte Willem die Klinik verlassen, benachrichtigte er Roek und trug ihm auf, für die Sicherheit des Patienten zu sorgen. Ein Agent musste Tag und Nacht vor dessen Türe Wache stehen, da nicht gänzlich auszuschließen war, dass sich die Täter um den unliebsamen Zeugen kümmern und ihn beseitigen wollten. Dann rief er Tessa Boyens an.
»Wo immer Sie auch gerade sind, wir treffen uns in einer halben Stunde in Bijlermeer, das ist im Südosten Amsterdams, falls Sie das nicht wissen sollten.«
»Das geht nicht«, beschwerte sich die Agentin entrüstet. »Ich habe gleich eine Verabredung mit einem Veteranen aus dem Kosovo, der mir mehr über Sneek erzählen ...«
»Das kann warten. Ich brauche Sie jetzt dort. Also, bis in ein paar Minuten.«
Willem wartete gar nicht erst auf weitere Proteste der Agentin und legte auf. Die Zeit drängte und er hatte das unbestimmte Gefühl, das es ungemein wichtig war, sofort zu der von de Hag genannten Adresse zu fahren.
15:58 Uhr, 4. Mai, Bijlermeer, Amsterdam
Das fünfzehnstöckige Hochhaus im Amsterdamer Viertel Bijlermeer, eines von unzähligen schmucklosen und nebeneinander aufgereihten Wohnkonserven aus Beton, wirkte auf den ersten Blick noch schäbiger als erwartet. Die Fassade hatte sicher schon bessere Zeiten gesehen, was allerdings auch auf die meisten Nachbarshäuser zutraf. An vielen Stellen bröckelte der Putz und so manches Fenster zierte anstatt eines Glases nur ein dünnes Brett. Sozialer Wohnungsbau in Perfektion, dachte Willem sarkastisch, während er, an seinen schwarzen Sedan gelehnt, an der Hausfront hinaufblickte. Gut genug, um damit Geld zu verdienen, aber wenn es nicht läuft, lässt man es lieber verfallen. Nicht gerade ein sympathischer Zug für Immobilienmakler. Bei denen zählt wie bei vielen nur das Geld. Willem wandte den Blick von der Fassade und betrachtete mit in die Hosentaschen gesteckten Hände die kahle, kaum belebte Straße. Andererseits, wer will hier schon freiwillig wohnen.
Es dauerte zehn Minuten, bis Tessa eintraf. Sie parkte ihren Wagen direkt neben Willems, stieg aus und kam mit unverhohlener Wut auf ihn zu.
»Was sollte das? Ich war gerade an Sneek dran, als Sie mich abberufen haben.«
»Wenn Ihr Veteran etwas weiß, dann wird er das auch noch in zwei Stunden wissen. Es sei denn, er wäre alzheimergefährdet oder auf dem Weg in ein geschlossenes Pflegeheim. Das scheint ja nicht der Fall zu sein.«
»Natürlich nicht, aber ...«
»Kein aber. Unser Zeuge ist aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Und er hat diese Adresse ausgeplaudert. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass Sie das hier verpassen wollten. Was immer wir finden werden. Oder stimmt das etwa nicht?«
»Das fragen Sie noch?«
»Prima. Sollen wir dann?«
Willem deutete auf die ramponierte Eingangstür, deren Glas in einer Ecke ein Loch und sternförmige Risse aufwies, beides offensichtlich von einem mit aller Kraft geworfenen Stein verursacht.
Sie gingen zusammen über den schmierigen Treppenflur, vorbei an unzähligen leerstehenden Wohnungen, die kaum einen besseren Eindruck als das ganze Gebäude von außen machten. Vereinzelt drang Lärm durch die dünnen Kunststofftüren, laute TV-Geräte, Kindergeschrei oder streitende Paare. Willem war überzeugt, dass die meisten Wohnungen nicht mit einem regulären Mietvertrag bezogen, sondern gekraakt
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