Tiefes Land
Gesetzhüter erlitt einen Oberschenkeltreffer und stürzte zu Boden. Willem eilte zu dem Mann hinüber und zog ihn aus dem Gefahrenbereich. Eine Kugel sirrte dabei so nah an seinem Ohr vorbei, dass er den Luftzug zu spüren vermeinte. Draußen vor dem Haus versorgte ein Kollege sofort die Wunde des verletzten Polizisten.
Die übrigen Beamten formierten sich eilends in eine Abwehrstellung seitlich des Einganges, als ihnen das Mündungsfeuer der automatischen Waffen plötzlich entgegen stürmte. Willem schüttelte ungläubig den Kopf. Die Schützen im Inneren gaben ihre sichere Position auf und gingen unter anhaltendem Kugelhagel zum Angriff über. Das konnte nur in einem Fiasko enden.
Er sollte recht behalten. Nur wenige Augenblicke später zeigte die besonnene Gegenwehr der Polizisten ihre Wirkung. Die erste Maschinenpistole der Angreifer verstummte, dann die andere. Nach dem ohrenbetäubenden Krach der letzten Minuten wirkte die plötzliche Stille fast gespenstisch. Willem zögerte keine Sekunde und stürmte mit gezogener Waffe in das Gebäude vor. Angemer seufzte ergeben, warf Tessa einen mitleidigen Blick zu und folgte ihm.
11:45 Uhr, 5. Mai, Innenstadt, Amsterdam
»Dieser Angriff war kompletter Irrsinn. Völlig sinnlos. Was ging nur in den Köpfen dieser Typen vor?«
Willem deutete auf die reglosen Körper der beiden Angreifer. Mehrere Schusswunden in den Oberkörpern zeugten von der tödlichen Treffsicherheit der Polizisten. Die Männer lagen vor dem abgewinkelten Teil der Bar, die automatischen Waffen direkt neben ihnen. Von dieser Position aus war der Eingangsbereich des Clubs problemlos zu verteidigen, ohne dass man selbst von dort gesehen wurde. Der perfekte Hinterhalt, sofern man sich nicht vor dem Tresen aufhielt.
Willem war davon überzeugt, dass sich die Schützen hätten absetzen können, wenn es denn so beabsichtigt gewesen wäre. Der Tod der beiden Männer schien bewusst einkalkuliert. Nur von wem und wofür? Für ihn und seine Ermittlung? Der Unbekannte hatte ihnen eine Falle gestellt, und zwar eine, die anscheinend nur halbherzig zuschnappen sollte. Wenn überhaupt.
Während Willem darüber nachdachte, musste er vor sich selbst zugeben, dass es mehr als seltsam klang. Aber in seinem Kopf formte sich langsam eine Theorie, die ihm auf einmal gar nicht so abwegig erschien. Er ließ einen schnellen Rundumblick durch die Räumlichkeit gleiten. Der Club, der aus einem großen Hauptraum und wenigen kleineren Zimmer bestand, erwies sich als ehemals geschmackvoll eingerichtetes Etablissement, das eindeutig schon bessere Zeiten gesehen hatte. Das Inventar war nach der Schließung von den Betreibern zum größten Teil entfernt worden. Hier und da lag noch ein zerbrochener Stuhl oder stand eines der niedrigen Tischchen herum. Ansonsten deutete nichts auf daraufhin, dass in diesem Gebäude jemand regelmäßig aus- und einging.
Bevor er seinen eigenen Streifschuss versorgen ließ, hob er die Augenlieder der Toten an. Starr blickten ihn unnatürlich geweitete Pupillen an. Anschließend fühlte Willem nach dem Herzschlag. Überrascht fuhr er auf.
»Der eine lebt noch. Sein Herz schlägt ziemlich schwach, aber wenn wir schnell einen Rettungssanitäter herbekommen, könnte er es vielleicht schaffen.«
»Der dürfte jeden Augenblick hier sein. Einer meiner Männer hat direkt nach der Schießerei die Ambulanz verständigt«, erwiderte Angemer. »Hoffen wir, dass dieser Scheißkerl lange genug überlebt, um uns zu verraten, wer ihn und uns umbringen versuchte.«
»Dann sollten wir ihm und uns die Daumen drücken. Mit den vielen Kugeln in seiner Brust. Ganz zu schweigen von dem Zeug, das sie sich vorher eingeworfen haben ...« Willem beendete den Satz nicht. Jeder der Anwesenden wusste auch so, was er sagen wollte.
Im hinteren Bereich des Clubs schlug unvermittelt eine Tür zu. War der Killer etwa noch hier? Sofort spurtete Willem los. Tessa verlor keine Zeit und folgte ihm. Sie liefen durch einen kurzen, schummrigen Gang, der zu einer hölzernen Tür führte. Der Hinterausgang. Motorengeräusch erklang plötzlich auf der anderen Seite. Willem riss die Tür auf und sah gerade eben, wie eine Gestalt mit einem Motorboot über die Gracht davonraste.
»Kümmern Sie sich um unsere beiden Freunde da drinnen. Ich verfolge das Boot«, wies Willem die Agentin an, bevor er zu Fuß hinter dem Fliehenden hinterher hetzte. »Ich melde mich von unterwegs.«
»Aber ...«, setzte Tessa an, doch Willem hörte bereits nicht
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