Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Tiny nahm seinen Helm nach der erfolgreichen Anprobe wieder ab. Jung machte es ihm nach und war froh. Die Fliegerkombi, eine Art Strampelanzug für Erwachsene, sah aus wie die orangefarbenen Overalls von Müllmännern. Aber sie trug sich, ebenso wie die Stiefel, sehr komfortabel, sehr luftig und sehr leicht. Nur die Weste drückte, weil sie recht schwer wog. Jung hatte das Gefühl, dass der wortkarge Soldat aufatmete, als sie endlich alles beisammen hatten und sein Reich wieder verließen.
Jung sah Tiny interessiert über die Schulter, als er im Kartenraum eine Fliegerkarte von Portugals Süden auf dem großen Kartentisch ausbreitete. Aus dem Regal hatte er sich ein Buch gegriffen und schlug es auf.
»Das sind FLIPs, Flight Information Papers«, erklärte er Jung. »Ich kenne sie in- und auswendig. Aber vielleicht gibt’s ja doch was Neues.«
Jung schwieg. In der Folgezeit ließ sein Interesse nach. Die Fliegerkarte sah unanschaulich aus, jedenfalls im Vergleich zu einer Autokarte. Eine differenzierte Geografie war nicht zu sehen. Die Unzahl an Informationen, Zahlen, Linien, Frequenzangaben, die schraffierten Flächen und eingefärbten Luftkorridore langweilten ihn. Tiny hatte sich über die Karte gebeugt und arbeitete konzentriert.
»Wir fliegen ein Low-level-Profil nach Mertola«, er zeigte auf die Karte, »dann hier den Guadiana runter an die Küste, danach in 1500 Feet über die Algarve bis nach Vila do Bispo, die Westküste hoch bis Odemira und von da ab wieder low level zurück nach Beja. Zum Abschluss gehen wir hoch in die TRA, die Temporary Reserved Area, und fliegen da ein bisschen herum. Danach ist Schluss.«
Jung schwieg, obwohl ihm tausend Fragen auf der Zunge lagen. Was wollte Tiny ihm eigentlich zeigen, fragte er sich immer dringlicher. Was hatte er wirklich vor? Er hätte seinem Informationsbedürfnis und seiner aufkommenden Besorgnis gern Luft gemacht, fühlte sich aber an sein gegebenes Wort gebunden und blieb stumm. Tiny füllte noch ein paar Papiere aus und stopfte seine Unterlagen in die geräumigen Oberschenkeltaschen seiner Kombi. Er winkte Jung zu und sie eilten, die Helme ergreifend, zu Tinys Auto.
»Wir müssen noch zu BaseOps und dem Wetter. Für alle Fälle.« Zu mehr ließ Tiny sich nicht hinreißen. Jung hatte sich in sein Schicksal ergeben und schluckte alle seine Fragen tapfer hinunter. Er würde noch früh genug sehen, was passierte, beruhigte er sich. Tinys Coolness fing an, ihn zu beeindrucken.
»Warte hier«, wies Tiny ihn an, als er das Auto neben dem Towergebäude abgestellt hatte. »Bin gleich wieder da.«
Jung sah sich um. Es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Nur oben auf dem Tower, hinter den getönten Panoramascheiben, sah er einige wenige Schatten umherhuschen. Vor dem Turm lag das Taxiway, dahinter die breite, endlos lange Runway. Jenseits der Rollbahn schloss sich nach Westen plattes Grasland an. Unter weit auseinanderstehenden Korkeichen und Ölbäumen weidete eine Schafherde. Ungläubig beobachtete Jung, wie zwei Hunde die Herde zusammenhielten. Auf die Idee, dass eine Militärbasis auch landwirtschaftlich genutzt werden konnte, wäre er nie gekommen.
»Alles okay.« Tiny war zu Jung ins Auto gestiegen und steckte sich einen Schreiber in die Stecktasche am Oberarm. »Gutes Wetter. Nichts los auf unserer Route.«
Er holte ein Foto aus dem Handschuhfach und beugte sich zu Jung hinüber.
»Ich muss dir vorher ein paar Sachen erklären. Hier siehst du das Cockpit. Das Wichtigste ist der gelb-schwarze Griff zwischen deinen Beinen. Auf keinen Fall berühren. Wenn du daran ziehst, schleuderst du uns beide raus. Wenn das nötig sein sollte, dann mache nur ich das, verstanden?«
Jung nickte ergeben mit dem Kopf.
»Interessant für dich sind die Anzeigen für Geschwindigkeit, Höhe, Sauerstoffversorgung, hier, hier und hier. Vielleicht noch der G-Messer. Falls dir schlecht wird, weißt du wenigstens, warum. Keine unnötige Konversation. Alles, was wir sagen, wird mitgehört oder aufgezeichnet.« Tiny sah Jung intensiv in die Augen. »Du redest mit mir nur im Notfall, zum Beispiel, wenn du kotzen musst oder ohnmächtig wirst. Aber nicht, wenn dir nur schlecht ist, kapiert?«
Jung nickte, ängstlich beeindruckt.
»Ach ja, noch eine Kleinigkeit. Zieh dir Handschuhe an. Sie sind in der Tasche deiner Kombi.«
»Warum?« Jung konnte seine Frage nicht zurückhalten.
»Falls du etwas anfassen solltest, was du nicht darfst, dann wenigstens nicht mit schweißnassen
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