Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)

King of everything. Er hat mir sein Go gegeben. Übrigens nicht das erste Mal. Heute Vormittag findet ansonsten kein Flugbetrieb statt.«
    Jung verschlug es die Sprache. Er biss sich auf die Zunge. Er ließ einige Zeit verstreichen, in der er sich fast mit Gewalt Zurückhaltung auferlegte. Das vor ihm liegende Abenteuer türmte einen Berg von Fragen auf.
    »Was willst du mir denn zeigen, Tiny?«
    »Wart’s ab, bis es so weit ist«, antwortete er kurz angebunden.
    »In welchem Flugzeug denn?«
    »Einem Alpha-Jet. Als wir damals Beja verließen, haben wir die Maschinen den Portugiesen geschenkt, eine Art Entwicklungshilfe, wenn du so willst.«
    Tiny schwenkte auf die Zufahrt zur Autobahn in Richtung Lisboa ein.
    »Wie viele Sitze hat der Vogel denn?« Jungs Befürchtungen fingen an, sich zu konkretisieren.
    »Zwei Sitze. Das Flugzeug kann von beiden Sitzen geflogen werden. Du musst nur die Pfoten von allem lassen, verstanden?«
    »Hab ich eine andere Wahl?«
    »Du sitzt hinten. Kannst dich drauf freuen.«
    Jungs Vorfreude wurde von den Gedanken an Tinys Ruhestand und seinen kaputten Rücken gedämpft. Tiny war kein aktiver Pilot mehr.
    »Hält dein Rücken das aus, Tiny?«, fragte er zweifelnd.
    »Dafür wird’s reichen. Wir nannten den Alpha-Jet früher auch Luft-Moped. Ich fliege ihn genauso, wie ich Fahrrad fahre.«
    »Das beruhigt mich ja, Tiny«, erwiderte Jung lakonisch. Danach stellte er keine weiteren Fragen mehr. Tiny hatte sehr cool und entschlossen geklungen.
    Jung lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster in die vorübergleitende Landschaft. Sie passierten eine Mautstelle. Danach wurde es einsam. Die Ausläufer der Serras Do Caldeirao und Monchique wurden runder, später flacher. Bei Ourique verließen sie die Autobahn und fuhren auf die IP 2 in Richtung Beja. Der Verkehr war auf der Autobahn schon spärlich gewesen, hier schien es Jung, als seien sie allein auf der glatten Fahrbahn unterwegs. Auch die Landschaft war leerer geworden. Sie breitete sich in flachen, braun-silbrigen Wellen endlos aus bis an einen ewig entfernt liegenden Horizont. In einem der vielen ausgedehnten, in loser Formation gepflanzten Korkeichen- und Olivenwälder trieben ein Hirte und seine Hunde eine Ziegenherde zusammen.
    Die Sonne stieg höher. Über der Landschaft lag eine Melancholie aus Erschöpfung und Überdruss. Nur einige in endlose, gerade Reihen gesetzte Weinfelder zeugten von emsiger Arbeit und intensiver Landwirtschaft. Ihr frisches, junges Grün stand in einem seltsamen Gegensatz zu der harten, klumpigen, rotbraunen alten Erde, auf der die sauber beschnittenen Weinstöcke aufgereiht standen wie eine Armee Gardesoldaten.
    Als sie Castro Verde passiert hatten und, über einen höheren Buckel kommend, einen schnurgeraden Straßenabschnitt, der eher einer Allee aus hohen Eukalyptusbäumen glich, hinunterfuhren, stieß Tiny Jung an und deutete mit der Hand nach vorn: »Da liegt Beja. Noch rund 20 Kilometer.«
    Jung sah am Horizont einen bebauten Hügel, der ihn an eine mittelalterliche Stadtfeste erinnerte; kompakt und abgeschlossen, von einem trotzigen Vierkant bewacht, der sich stolz und knorrig über seine Schutzbefohlenen erhob. Nur ein überdimensionaler Getreidesilo etwas außerhalb störte das mittelalterliche Idyll.
    »Sieht hübsch aus«, meinte Jung verträumt.
    »Aber nur von Weitem. Drinnen ist es langweilig und dreckig«, erwiderte Tiny. »Die Basis liegt übrigens etwas außerhalb, von hier gesehen weiter links, in der Ebene. Die Runway ist endlos. Würde sogar für ein Space-Shuttle ausreichen.«
    »Und? Ist mal eines gelandet?«, fragte Jung humorig.
    »Nein. Aber wir hatten einen unter uns, der hätte da landen können. Er ist später im Weltraum um den Globus gedüst. Hatte übrigens den gleichen Vornamen wie du. War ein besonderer Kerl, schon damals.«
    »Das ist ja interessant. Warum bist du nicht Astronaut geworden?«, fragte Jung neugierig.
    »Das passt nicht zu mir. Ich bin zu groß, zu schwer, und mein Rücken macht das auch nicht mit. Außerdem bin ich dafür nicht smart genug.«
    Jung war von Tinys Selbsterkenntnis überrascht.
    »Wie smart muss man denn sein, um Astronaut werden zu können, Tiny?«
    »So cool, dass alles immer perfekt läuft, ausnahmslos und ohne klitzekleinste Fehler, verstehst du? Der Typ hatte nie ein Emergency in der Luft, seine Flugplanung und die Durchführung waren immer so perfekt, dass es geradezu unheimlich war. Er war einsam unter uns, einfach einsame