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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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begriffsstutzigste Mensch war, dem er je begegnet war.
    «Claude hat eine Freundin», sagte Sam. «Er meint, sie könnte vielleicht was gesehen haben.»
    «Ja, Marnie», sagte Claude, dessen Züge sanfter wurden, sobald er die Silben des Namens aussprach. «Eine alte Freundin.»
    «Eine alte Freundin», betonte Sam. «Ist sie doch, Claude, oder?»
    Der fette Mann lächelte und schürzte verlegen die Lippen. «Seine Illusionen verliert ein Mann als erstes», sagte er, «seine Zähne als zweites und seine Torheiten als letztes.» Er senkte den Blick auf seine schwarzen Stiefel ohne Schnürsenkel und versuchte, wieder Herr über sein Mienenspiel zu werden. Doch als er aufschaute, lächelte er immer noch, schürzte immer noch die Lippen, und obendrein war er nun auch noch rot geworden. «Sie wird jeden Augenblick hier sein», sagte er. «Sie ist auf der Damentoilette.»
    Als sie kam, dachte Geordie im ersten Moment, Marnie sei die häßlichste Frau, die er in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Claude besaß selbst ein ziemliches Prachtexemplar, aber falls so was überhaupt möglich war, dann war Marnies Rüssel noch obszöner. Über Claudes Nase zog sich ein Geflecht winziger Äderchen, Marnie hatte so etwas nicht zu bieten, was sie hatte, war das genaue Gegenteil. Ihre Nase hatte schon lange kein Blut mehr gesehen, und deshalb verkümmerte sie nun. Sie hatte einen erheblich dunkleren Ton als der Rest ihres Gesichts, das fast ausschließlich aus Mitessern bestand. «Die beste Beschreibung von dem Ding war noch», erzählte Geordie später Janet, «tja, es sah aus wie was, das eine Wespe bauen würde. Aber kein normales Wespennest. Wenn du dir eine Wespe vorstellen könntest, die schon immer ein Versager gewesen ist, so was wie das schwarze Schaf der Wespen. Weißt du, was ich meine? Aus einem kaputten Elternhaus, einer Mischehe, und sie ist viel zu früh von zu Hause weg, bevor ihre Eltern Zeit hatten, ihr Sachen beizubringen. Dann würde sie so was wie Marnies Nase bauen und versuchen, da drin zu leben.»
    Aber das war noch nicht das Schlimmste. Die Zähne waren voll die Härte. Sie waren riesig und weiß, und Geordie hatte den Eindruck, daß sie eigentlich nicht wirklich in ihren Mund gehörten. Sie hatte schmale Lippen, die sie unter dunkelrotem Lippenstift versteckte, so was wie pflaumenfarben. Allerdings war sie den Linien ihrer Lippen nicht richtig gefolgt, so daß man den Eindruck hatte, der Pflaumensaft liefe nach außen weg.
    Er hatte sie schon mal gesehen. Hatte nicht gewußt, daß sie Marnie hieß, aber in York kannte sie eigentlich jeder. Früher trieb sie sich vor dem Theatre Royal herum und beschimpfte den Verkehr, trat oft genug unverfroren auf die Straße und war sich keiner Gefahr bewußt. Wenn ein Autofahrer bremste, um ihr auszuweichen, drehte sie sich abrupt um, zeigte ihm den Vogel und fing dann an, die Touristen zu beschimpfen, die für Eintrittskarten anstanden.
    Das war Marnie. Nur, irgendwas war anders an ihr.
    Ja, richtig, die Zähne gehörten nicht in ihren Mund. Die Marnie, die Geordie schon überall in der Stadt gesehen hatte, hatte keine Zähne mehr. Sie hatte ein eingefallenes Gesicht, ihre Lippen waren so weit in ihren Mund zurückgezogen, daß das Kinn beinahe die Nase berührte.
    Sie war auch anders gekleidet. Die alte Marnie trug einen unförmigen Mantel und riesige Stiefel, außerdem schleppte sie immer zwei gigantische Einkaufstüten voller Flaschen und Müll mit sich herum, den sie aus Mülleimern fischte. «Aber heute war sie anders», sagte Geordie zu Janet. «Du hättest sie sehen sollen. Sie trug eine weiße Bluse, also, eher so cremefarben, mit langen Ärmeln, und die hatte vorn und an den Manschetten Rüschen. Richtig nobel. Und dann trug sie noch ein kastanienbraunes Kostüm, das zwar nicht neu war, aber es war alles andere als alt und zerlumpt. Wenn du es angezogen hättest, dann hättest du’s zuerst mal gebügelt, und dann hättest du damit durchaus zur Arbeit gehen können. Und dann hatte sie auch noch eine graue Wollstrumpfhose an, die ihr Tatsache auch paßte. Wenn ich sie früher irgendwo gesehen habe, dann hatte sie auch immer Strumpfhosen an, aber die waren völlig durchlöchert und schlugen überall Falten. Tja, diese Strumpfhose war alles andere. Sie saß einfach perfekt. Genau ihre Größe. Hätte sogar neu sein können. Und dann hatte sie noch ein rotes Paar Schuhe an, nicht rotbraun wie das Kostüm, aber gute Schuhe, weißt du. Mit flachen Absätzen.»
    Und sie

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