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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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Jeans war dünn und an den Beinen zerrissen. Er hatte zwei Pullover an, einen roten und einen grünen, sowie eine Mütze aus schwarzer Wolle, die er sich tief in die Augen gezogen hatte.
    Seine Gitarre besaß keinen Rücken und hatte nur noch drei Saiten, von denen eine gerissen und über dem sechsten Bund wieder zusammengebunden war. «Gitarre» war eine unzutreffende Bezeichnung, denn es war kein Musikinstrument mehr. Weder John Williams noch Eric Clapton hätten sie zum Singen bringen können.
    Während er darauf herumklimperte, zählte Marie die Münzen auf dem Lappen zwischen seinen Beinen. Ein Pfund und siebenundvierzig Pence. Eine alte Frau blieb einen Moment stehen und legte weitere zwanzig Pence dazu. Ein Pfund siebenundsechzig jetzt, mit steigender Tendenz. Zweitausend Jahre permanenten und nie endenden Fortschritts.
    «Wissen Sie, was ich dachte?» erzählte sie später Celia. «Ich habe einfach Dickens nicht aus dem Kopf bekommen. Nicht, daß er wiederkommen und es erklären würde. Uns helfen würde, es loszuwerden. Überhaupt nicht. Ich dachte vielmehr, es sei an der Zeit für einen neuen Dickens. Einen Dickens für das Ende dieses Jahrhunderts. Die Welt scheint voller Schriftsteller, Journalisten und Politiker zu sein, die ohne Ausnahme ohnmächtig und machtlos sind. Ein einziger Dickens könnte sie alle ersetzen, ein Mann oder eine Frau mit Herz und Willenskraft und Talent.»
    «Ja.» Celia wußte genau, was sie meinte. «Vielleicht sind Sie es, meine Liebe.»
    «Nicht ich, Celia. Ich kann nicht schreiben.»
    Aber Celia schüttelte ihr weises altes Haupt. «Sie können tun, was immer erforderlich ist.»
    Pete wurde in diesen wunderbaren sozial-realistischen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts wieder und wieder porträtiert. Aber Marie begegnete ihm von Angesicht zu Angesicht nicht auf den Seiten eines Buches, sondern auf den Straßen einer der reichsten Städte des Landes. Und er war nicht die Ausnahme, die die Regel bewies, er war kein einzelnes Beispiel für schlechtes Management oder Pech. Es gab mehr als einen Pete auf den Straßen von York, und er wurde viele Male in jeder Stadt und jedem Dorf des Landes dupliziert.
    «Als ich anfing, hießen die Einrichtungen noch », sagte er. «Aber heute haben sie den Namen in geändert.
    Ja, ich war auf einer der Partys. Ich weiß nicht, wo das Haus liegt, aber ich kann Ihnen beschreiben, wie’s innen aussieht. Im Eingangsbereich hatten sie ein weißes Klavier, direkt, wenn man durch die Tür reinkommt. Und ich erinnere mich auch an das Badezimmer, ganz besonders daran. Es gibt keine Fenster, und dann sind da zwei Messingringe fiir Handtücher, durch die er einem die Hände zieht.»
    Pete klimperte auf seiner Gitarre. Er sah Marie an und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, beinahe eine perfekte Maske. Dann wandte er sein bleiches Gesicht und die vorspringenden Augen ein paar Sekunden ab, bevor er sich wieder in die Wirklichkeit zurückholte.
    «Da drinnen gibt’s eine Dusche», sagte er. «Mit einem Stuhl drin. Man kann sich da reinsetzen und duschen. Zusehen, wie das ganze Blut durch den Abfluß geht.»
    «Und der Mann», sagte Marie. «Würdest du den Mann wiedererkennen, der es getan hat?»
    Pete nickte. Sein Blick wanderte zu einer inneren Ferne ab, und dann begann er zu nicken, und er hörte nicht mehr auf.
     

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
     
    « D u wirst scheinbar nie fetter, Geordie.» Sam hatte ihn die letzten paar Minuten beobachtet. «Als ich dich das erste Mal auf der Straße gesehen habe, da dachte ich, du wärst das magerste Lebewesen, das ich je gesehen hätte. Mal abgesehen von Donna. Sie war sogar noch magerer als du. Nach der Schwangerschaft hat sie ein bißchen was zugelegt. Aber du veränderst dich überhaupt nicht. Ich hatte gedacht, du weißt schon, nach einer Weile und bei drei Mahlzeiten pro Tag würdest du langsam mal runder.»
    Geordie unterbrach das Schreiben und schaute auf. «Das ist erblich», sagte er. Er ließ den Kopf wieder sinken und widmete sich dem Brief.
    Sam wartete eine Weile. Begleitete den Mann auf dem Tapedeck: «Honey, why are you so hard?»
    «Was schreibst ’n?» fragte er.
    Geordie schaute erneut auf. «Zwei verschiedene Sachen», sagte er. «Ich schreibe zwei verschiedene Sachen. Erstens schreibe ich an diese Adresse namens Wachturm, denen man zwei Pfund schicken muß, und dann schicken sie einem ein Buch zurück, bei dem es um das Paradies auf Erden geht. Und den zweiten Brief

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