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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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Wanken geraten war, wieder richtig und zuverlässig schlagen. Es würde zu wachsen beginnen.
     
    Als Jeanie ihn sah, konnte sie nicht anders. Noch in der Tür, dort auf der Straße, nahm sie sein geschundenes und zerschlagenes Gesicht in die Hände und küßte es zärtlich. Es schmeckte salzig, und seine Haut war straff. Es fühlte sich an, als könnte die Hülle kaum das geschundene Fleisch darunter halten.
    Dann nahm sie seine Hände und zog ihn ins Haus und zu ihrer Couch. Sie lehnte sich zurück und zog ihn neben sich herunter. Sie drückte seinen Kopf vorsichtig an ihre Brust. Sie spürte sein Zittern und hob sein Kinn in der Erwartung, diese Seltenheit zu sehen: Tränen eines Mannes. Aber sein Gesicht war trocken. Falls es überhaupt Tränen gab, dann waren es innere Tränen. Er war eine Enttäuschung.
    Etwas veränderte sich dann für Jeanie, genau in diesem Augenblick. Sie hatte viel über Sam Turner nachgedacht, und sie hatte viel über Michael Caffrey nachgedacht, ihren irischen Lover. Bevor Sam an diesem Abend gekommen war, war sie bereit gewesen, Michael zu sagen, daß sie sich nicht mehr mit ihm treffen würde. Doch jetzt war sie nicht mehr so sicher.
    Vernunft. Über Dinge nachdenken. In ihrem Kopf war alles so glasklar gewesen. Eines der Probleme mit Michael war der Unterschied zwischen ihrem stolzen schottischen Geist und seinem vom Krieg zerrissenen, Belfast-irischen Wesen. Außerdem war sie schon einmal verheiratet, und das zu einer Zeit, als Michael noch kurze Hosen getragen hatte.
    Sie und Sam andererseits waren sich ähnlicher. Auch er war bereits verheiratet gewesen, zweimal sogar, und sie konnten auf eine Fülle gemeinsamer Erfahrungen zurückgreifen, während es gleichzeitig genug Unterschiede gab, um die Sache spannend zu machen.
    Das alles wußte sie, und auf dieser Grundlage war sie zu einer soliden und vernünftigen Entscheidung gelangt. Dann hatte sie Sam Turners Kopf an ihre Brust gedrückt, spürte sein Zittern, schaute nach Tränen suchend auf sein Gesicht hinab... und fand nicht eine einzige. Und das hatte ihre Meinung geändert.
    «Was ist los?» fragte er.
    Sie lächelte. «Nichts. Ich denke nur.»
    Er setzte sich auf und sah sie an. Sie hob eine Hand und berührte mit den Fingerspitzen sein Gesicht. Er sah ihr in die Augen.
    Jeanie hielt seinen Blick, doch dann blinzelte sie und wandte die Augen ab, starrte auf ihren Schoß, die Struktur ihres Rockes.
    Er sagte ihren Namen, und in seiner Stimme lag eine gewisse Unsicherheit, die noch einen Moment zuvor nicht dagewesen war. Etwas, das sie ihm weitergegeben hatte, wie ein Virus. Sie ballte die Faust, war wütend darüber, daß er bewirkte, daß sie sich schuldig fühlte. Daß sie es zuließ, daß sie sich schuldig fühlte. Um Himmels willen, es war doch keine tödliche Krankheit, die sie ihm gab. Er würde es überleben. Es war doch nur das Leben. Die Wirklichkeit.
    «Da ist noch etwas», sagte sie.
    Er reagierte nicht, nicht einmal mit den Augen. Kein scharfes Einatmen, kein dumpfes benommenes Gefühl, das sich in seinem Körper ausbreitete.
    «Michael», fuhr sie fort. «Ich kannte ihn schon, bevor wir uns begegnet sind. Ich sehe ihn immer noch.»
    «Sehen?»
    «Ja.»
    «Und Michael? Weiß er davon?»
    Sie schüttelte den Kopf. Sie schaute an ihm vorbei, Tausende von Meilen.
    Sam schob eine Hand in die Jackentasche und kramte darin herum, als suche er etwas. Etwas, das er verloren hatte. Eine Zigarette. Aber er rauchte nicht. Er gab die Suche auf und zuckte die Achseln. «Dann ist es ernst», sagte er.
     
    Nachts spürte Jeanie, wie er sich bewegte, sich aus dem Gewirr von Armen und Beinen löste, aus der Hitze, in der ihre Körper aneinandergeklammert waren. Er setzte sich im Bett auf, schwang die Beine über die Kante. Der Sex war vorher nicht mal annähernd so gut gewesen, dachte sie, nicht nur mit ihm, sondern überhaupt mit jedem. Es war ein gewisses Etwas nötig, um es besonders gut zu machen: Nostalgie, Enttäuschung, Verrat, Scham.
    «Du gehst?» fragte sie und erkannte die Schläfrigkeit in ihrer Stimme.
    «Ich hab mich von dem Clown in mir täuschen lassen», sagte er.
    Er zitierte irgendwas. Sie konnte sich nicht erinnern, was. Sie griff nach dem Pragmatischen, dem Banalen, einer Maske, die ihn ablenken und ihr gleichzeitig Zuflucht bieten würde. «Wirst du mich anrufen?» sagte sie.
    «Wir sind Idioten, Babe.»
    Jetzt war’s raus. Der Zorn.
    «Kann sein, daß ich nachts geboren wurde, aber letzte Nacht war’s ganz

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