Tiefsee
Ruder unter das Boot geschlagen«, erklärte Giordino. »Ich glitt über die Seitenwand, schwamm unter Wasser, bis ich deinen Arm erwischte, und zog dich an die Oberfläche. Der Steward hätte mich auch noch bewußtlos geschlagen, doch zum Glück kam rechtzeitig ein Marine-Hubschrauber, dessen Rettungsleute ins Wasser sprangen und der Mannschaft halfen, uns an Bord zu ziehen.«
»Und Loren?«
Giordino wich seinem Blick aus. »Sie gilt als vermißt.«
»Vermißt, verdammt noch mal!« fluchte Pitt. Er verzog das Gesicht bei dem plötzlichen, stechenden Schmerz in seiner Brust, als er sich auf die Ellbogen stützte. »Wir wissen beide, daß sie am Leben war und in dem Rettungsboot saß.«
Giordinos Gesicht wurde ernst. »Ihr Name stand nicht auf der Liste der Überlebenden, die der Schiffskapitän herausgegeben hat.«
»Ein Schiff von Bougainville!« platzte Pitt heraus, dessen Gedächtnis wieder funktionierte.
»Der chinesische Steward, der uns umzubringen versuchte, zeigte auf die –«
»
Chalmette
«, sagte ihm Giordino ein.
»Ja, die
Chalmette
, und behauptete, sie gehöre ihm. Er nannte auch meinen Namen.«
»Stewards müssen sich die Namen der Passagiere merken. Er kannte dich als Charlie Gruber aus der Kabine vierunddreißig.«
»Nein, er beschuldigte mich richtig, daß ich mich in Bougainvilles Geschäfte einmische, und seine letzten Worte lauteten ›Gute Reise, Dirk Pitt‹.«
Giordino zuckte verwirrt mit den Schultern. »Ist mir vollkommen unverständlich, wieso er dich kannte. Aber warum sollte einer von Bougainville als Steward auf einem russischen Schiff arbeiten?«
»Ich darf nicht einmal beginnen, Vermutungen anzustellen.«
»Und warum sollte er leugnen, daß Loren gerettet wurde?«
Pitt schüttelte unmerklich den Kopf.
»Dann wird sie von den Bougainvilles gefangen gehalten«, schloß Giordino, als ginge ihm plötzlich ein Licht auf. »Aber aus welchem Grund?«
»Du stellst immer mehr Fragen, die ich nicht beantworten kann«, ärgerte sich Pitt. »Wo befindet sich die
Chalmette
jetzt?«
»Auf der Fahrt nach Miami, um die Überlebenden an Land zu bringen.«
»Wie lange war ich bewußtlos?«
»Etwa zweiunddreißig Stunden«, antwortete der Arzt.
»Dann haben wir noch Zeit«, meinte Pitt. »Die
Chalmette
wird erst in mehreren Stunden in Florida eintreffen.«
Er setzte sich auf und schwang die Beine über den Bettrand.
Der Raum begann ihm vor den Augen zu schaukeln.
Der Arzt trat zu ihm und hielt ihn an beiden Armen fest. »Ich hoffe, Sie denken nicht daran, irgendwohin zu stürzen.«
»Ich habe vor, auf dem Kai zu stehen, wenn die
Chalmette
in Miami eintrifft«, erklärte Pitt unnachgiebig.
Der Gesichtsausdruck des Arztes wurde streng medizinisch.
»Sie bleiben die nächsten vier Tage in Ihrem Bett. Sie können mit diesen gebrochenen Rippen nicht in der Weltgeschichte herumreisen, und wir wissen noch nicht genau, wie schwer Ihre Gehirnerschütterung ist.«
»Tut mir leid, Doc«, bedauerte Giordino, »aber ihr wurdet beide überstimmt.«
Pitt starrte ihn vorwurfsvoll an. »Wer soll mich daran hindern?«
»Erstens Admiral Sandecker, zweitens Außenminister Douglas Oates«, zählte Giordino so ungerührt auf, als würde er die Börsenkurse des Tages vorlesen. »Wir bekamen Befehl, dich in derselben Minute, in der du zu Bewußtsein kommst, nach Washington zu fliegen. Wir könnten sonst in große Schwierigkeiten geraten. Mir schwant, daß wir in die falsche Keksschachtel gegriffen haben, als wir entdeckten, daß der Abgeordnete Moran und Senator Larimer auf einem sowjetischen Schiff gefangengehalten werden.«
»Sie können alle warten, bis ich die
Chalmette
nach Loren durchsucht habe.«
»Das übernehme ich schon. Du fliegst in die Hauptstadt, während ich nach Miami fliege und Zollinspektor spiele. Es ist alles schon gedeichselt.«
Ein wenig beruhigt entspannte sich Pitt auf dem Bett. »Was ist mit Moran?«
»Er konnte es nicht erwarten abzuhauen«, erzählte Giordino zornig. »Sobald er an Land kam, verlangte er, die Marine solle alles stehen und liegen lassen und ihn nach Hause fliegen. Nach seiner ersten Routineuntersuchung hier hatte ich im Korridor des Lazaretts eine kleine Auseinandersetzung mit ihm. Ich war nahe daran, ihm seine Hakennase in den Hals zu boxen. Der Schuft zeigte wegen Loren nicht die ge ringste Besorgnis und schien sich richtig zu freuen, als ich ihm von Larimers Tod berichtete.«
»Er hat eben ein Talent dafür, diejenigen im Stich zu lassen, die ihm
Weitere Kostenlose Bücher