Tiefseeperle
Madame.“
„Mhhmm!“
„Ich habe mir erlaubt, es von dem Kurier entgegenzunehmen.“
Er war äußerst pflichtbewusst.
„Es ist von Johannes von Hohenstein, wenn ich dies noch sagen darf.“
Ah, okay, dies musste also das angekündigte Geschenk sein.
„Ja, ja …“, murmelte sie und nahm den Kaffee entgegen, ohne dass der Inhalt des Paketes weiter Interesse hätte bei ihr wecken können.
„Lass mich allein“, befahl sie ihm dann. Sie brauchte ein paar Minuten, um sich wieder zu sammeln. Demütig nickend verließ er die Küche und schloss die Tür. Die gestrenge Lady Du Mont stützte müde ihren schmerzenden Kopf in die Hände.
„Was passiert gerade mit mir?“, murmelte sie, und eine Welle der Angst durchfuhr ihren Körper, stülpte sich wie ein unsichtbarer Käfig über sie. Nach ihrer Rückkehr am gestrigen Tag war sie nur noch in ihrem Kokon verschwunden, lag zitternd in ihrem Bett und durchlebte erneut jeden Moment der Zusammenkunft mit dem Grafen, mit Maria, und ihren Besuch auf dem Friedhof. Sie hatte sich so unendlich verloren gefühlt. Voller Sehnsüchte nach einem Menschen, dem sie sich hätte offenbaren können. Catharina weilte gerade irgendwo unter spanischer Sonne und genoss ein paar Tage mit ihrem Freund, da wollte sie nicht stören. Maximilian war noch bis einschließlich heute auf Mallorca, er spielte dort Golf. Irgendwelche Golfturniere, die sein Handicap verbesserten. Dieser Mann erfüllte wirklich jedes Klischee. Sie hatte sich nach ihm gesehnt, war aber anderseits auch froh, ihm nicht gegenübertreten zu müssen.
Vage erinnerte sie sich an den Moment, als sie der Graf auf die Recamiere getragen hatte, es sich so unglaublich gut angefühlt hatte. So als liege sie in Maximilians Armen. Diese Lust, diese unfassbare Hingabe, war so einzigartig gewesen. Doch das war, was ihr Angst machte, sie quälte. Sie hatte sich einem Dom hingegeben und das, obwohl sie sicher war, dass dies nie wieder passieren würde. Es hätte wahrscheinlich auch nicht passieren dürfen! Sie litt darunter, es genossen und dabei ein Versprechen gebrochen zu haben. Dann noch dieses kleine Intermezzo mit dieser Maria. Warum war sie ihren Avancen erlegen?
Seit dem Tod ihrer geliebten Freundin Sina hatte es keine andere sexuelle Beziehung zu einer Frau gegeben. Victoria wusste, dass sie bisexuelle Neigungen in sich trug, diese waren jedoch mehr als verkümmert. Es war, als habe sie Hochverrat an einer Toten begangen. Ihr Lebensweg, den sie nach den tragischen Ereignissen eingeschlagen hatte, drohte plötzlich zu zerbrechen.
Ihre Gedanken überschlugen sich. ‚Ich kann nicht mehr, ich will das alles nicht mehr!‘ bohrte es in ihrem Kopf. Das Studio auflösen, alles verkaufen und irgendwo auf eine einsame Insel fliehen. Seit Jahren träumte sie von einem Cottage an der schottischen Küste oder in Cornwall. Zerklüftete Küstenabschnitte, einsame Sandstrände, kleine Ortschaften, die sich in der Nähe der Steilküste am Atlantik entlangschlängelten. Natur pur, Ruhe und nur den Gewalten von Wind und Wetter ausgesetzt. Darauf arbeitete sie hin … und wenn sie sich einmal eine Auszeit gönnte, reiste sie in diese Region.
In ihre Gedanken hinein klingelte das Telefon. Sie schaute auf das Display: Maximilian. Einen Augenblick überlegte sie, dann nahm sie das Gespräch an.
„Hallo, meine Katze“, seine Stimme klang so einnehmend und fröhlich.
„Hallo!“, Victoria versuchte, ihre Stimme ebenfalls heiter klingen zu lassen, sie wollte ihre Gefühle nicht offenbaren.
„Na, hast du dein Handicap verbessern können?“, fragte sie. Small Talk.
„Na, was meinst du?“ Sie beneidete ihn in diesem Moment so sehr um sein entspanntes Leben.
„Ich nehme an, Ja“.
„Ist nicht so wichtig … Sag mal, ich fliege in einer Stunde und wäre gegen 20.00 Uhr in Tegel … ich würde dich sehr gern noch sehen!“ Seine Worte klangen so selbstverständlich.
„Was meinst du?“
Victoria rang mit sich. Aber war er nicht die ‚gewünschte Normalität‘? Ein Mann, der sie offensichtlich begehrte, sie einfach nur sehen wollte. Keine bizarren Hintergedanken, ein Mann, der einfach nur sie als Frau reizvoll fand? Ganz normal …! Ein Mann, fernab von devoten Fantasien und geheimnisvollen Treffen?
„Ich komme heute nicht so richtig voran, wir drehen …“, sie wirkte unschlüssig. Doch dann ging ein Ruck durch ihre Glieder, und sie sagte mit fester Stimme: „Ja, ich würde mich freuen! Allerdings weiß ich nicht so ganz
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