Tiefseeperle
einfach ein Provokateur. „Ich wundere mich wirklich über Ihr verspätetes und plötzliches Erscheinen.“
„Herr Dr. Schrader“, Maximilian ließ sich nicht reizen. „Ich denke nicht, dass ich es nötig habe, für einen Menschen, auch wenn er mir noch so nah steht, zu lügen. Das wollten Sie doch damit ausdrücken?“
Schrader verzog die Mundwinkel. Evelin und Friedrich schauten immer griesgrämiger drein. Sie ahnten, dass mit dem Erscheinen eines von Bredow die Sachlage nicht mehr ganz so eindeutig aussah.
Maximilian fuhr fort: „Die Zusammenkünfte in dieser Form sind etwas sehr Außergewöhnliches. Diskretion ist ein hohes Gut. Es gibt keine Website, nichts, was diese geheimnisvolle Welt nach außen trägt. Deshalb wollte ich zunächst den Verlauf abwarten.“
„Wie würden Sie denn die geistige Verfassung von Herrn von Hohenstein kurz vor seinem Ableben einschätzen?“, fragte der Richter. Eine zentrale Frage, auch für seine Entscheidung.
„Er war auf keinen Fall dement oder gar unzurechnungsfähig. Dies steht wohl im Raum, soviel ich weiß“. Dann setzte Maximilian noch einen drauf: „Glauben Sie mir, Euer Ehren, wenn Sie alle meine Besucher als unzurechnungsfähig erklären lassen wollten, würde die Berliner Gesellschaft mit ihren tragenden Säulen einen herben Verlust erleiden.“
Allen war klar, was er damit ausdrücken wollte. Seine Gäste waren Menschen aus Politik und Wirtschaft. Außerdem war die Spitze bei Schrader angekommen.
„Vielen Dank, Herr von Bredow“, sagte Richter Engel, und man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.
„Eines möchte ich noch sagen“, Maximilian fixierte Victoria. Er wusste, dass sie seinen Blick kaum ertragen konnte. Was er nicht einschätzen konnte, war, wie sie auf diese bizarre Erkenntnis reagieren würde. Mit seiner Aussage hatte er alles auf eine Karte gesetzt. Alle Blicke bis auf Victorias ruhten auf ihm.
„Die, die sich in ihrer Lust dem Schmerz und unserer Macht ergeben, gilt es zu schützen!“, es klang wieder, als stünde er während seiner Veranstaltung auf der Empore. „Das ist eine Philosophie, die ich vertrete und die auch Frau Meyerhof …“, weiter kam er nicht. Victoria war aufgesprungen. „Entschuldigung … ich kann nicht, mir ist nicht gut …“, stammelte sie. „Oh Gott, ich muss zur Toilette“, damit rannte sie unter den erstaunten Augen aller aus dem Zimmer.
„ … und die Frau Meyerhof auch verfolgt“, beendete der Graf, ebenfalls irritiert, seinen Satz.
Victoria hatte das Gefühl, als sackten ihr die Beine weg. Nur mit Mühe konnte sie gehen. Der letzte Satz Maximilians hatte eine solch magische Bedeutung. Diese Philosophie, die der Graf so eindrucksvoll lebte, waren unter anderem der Auslöser für ihr bedingungsloses Vertrauen sich diesem Spiel als Sub hinzugeben. Doch in diesem Moment konnte sie diese Worte nicht ertragen. Jetzt klang es wie eine Farce.
Auf der schmuddeligen Toilette ließ sie kaltes Wasser über ihre Armgelenke laufen, stützte sich auf dem Waschbecken ab. Es war ein Gefühl von höchster Scham, die ihren ganzen Körper wie ein riesiger Krake mit seinen langen Tentakeln ergriff, ihr die Luft zum Atmen nahm. Sie konnte nicht mehr zurück in das Besprechungszimmer. Sie konnte Maximilian im Moment nicht mehr unter die Augen treten. Das, was sie da gerade gehört und erfahren hatte, musste sie erst einmal für sich verarbeiten. Es war ihr auch egal, ob es Probleme mit sich bringen würde, der Richter es als negativ auslegen oder dies seine Bewertung beeinflussen könnte. Zittrig verließ sie das Gerichtsgebäude. Da sie sich außerstande sah, sicher ihr Fahrzeug zu steuern, nahm sie ein Taxi. Es regnete.
„Zum Westfriedhof bitte!“, wies Victoria den Fahrer an. Die Fahrt verlief schweigend. Sie hatte das unendliche Bedürfnis, Sina nahe zu sein, mit ihr dieses Gefühl zu teilen.
Schweigend hockte sie sich vor die Grabstätte. Wie beim letzten Mal, da hatte es auch geregnet, dachte Victoria.
„Sina - sind das deine Tränen?“, fragte sie leise.
Als Victoria später die zwei eingegangen SMS las, gab zumindest die eine, die von Catharina stammte, Anlass zur Freude. Die Anwältin schrieb, dass Richter Engel empfahl, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen. Victoria möge sich doch bitte melden, da sie sich natürlich auch Sorgen machen würde.
Die andere Nachricht war von Maximilian. Er schrieb: ‘Liebe Victoria, bitte verzeih mir! Ich kann nachvollziehen, dass
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