Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
der Brücke herumgetorkelt, lagen sich in den Armen und stützten sich gegenseitig. Dann hat der eine von ihnen versucht, auf einen der Sockel zu steigen, auf dem die Löwen angebracht waren. Das ist ihm erst mal nicht gelungen. Er ist nach hinten umgefallen. Der andere hatte ihn dabei aufgefangen und wollte ihn wegzerren. Doch der hat sich nichts einreden lassen und bestand darauf, dass er ihn hochhebt. Nun ja, irgendwann, vielleicht nach einer Viertelstunde, ist es ihm dann auch gelungen. Er hat sich an dem Löwen festgeklammert, ist aber wieder abgerutscht. Der andere ist dann auch auf den Sockel gestiegen und hat ihn von hinten gehalten.«
»Was dann?«, fragte Oberhammer ungeduldig.
»Dann hatten die so einen Eimer dabei. Und einen Pinsel. Ich konnte nicht genau erkennen, was es war. Aber es muss …«
»Jaja, ein Pinsel. Und weiter?«
»Dann hat der eine losgelegt. Das Zeugs spritzte überall umher. Der andere hat sich davor in Deckung gebracht. Auf dem Boden stand ein Glas, aus dem er getrunken hat. Was, weiß ich nicht. Während der eine immer wieder abgerutscht ist, hat ihn der andere unten wieder aufgefangen und nach oben gedrückt. Dann hat der andere wieder getrunken, bis der eine wieder runtergerutscht ist.«
»Mein Gott, haben die auch mal was anderes gemacht?«, fuhr ihn Oberhammer an.
»Das ging dann die ganze Zeit so hin und her, bis sie dann fertig waren und zu dem anderen Löwen hingegangen, nein, hingetorkelt sind. Dabei haben sie die ganze Zeit gesungen.«
»Was?«
»Konnte ich nicht genau verstehen.«
»Was war dann auf der anderen Seite, bei dem zweiten Löwen?«
»Der eine hat versucht hochzusteigen …«
»Welcher eine?«
»Na, der eine von vorhin. Der andere hat ihn dann von hinten wieder gestützt und …«
»Es reicht«, befahl Oberhammer. »In der ganzen Zeit haben Sie also die beiden Männer beobachtet und haben nicht die Polizei gerufen?«
»Wieso? Die sagten doch, dass sie von der Polizei sind. Was weiß ich, was die da vorhatten? Vielleicht mussten die irgendeine Tarnung oder sonst etwas da machen.«
Oberhammer schüttelte ungehalten den Kopf. »Und die Gesichter der beiden haben Sie deutlich erkannt?«
»Klar. Mit dem Nachtsichtgerät sehen Sie taghell, selbst wenn es dunkle Nacht ist.«
Oberhammer frohlockte. »Dann fangen wir jetzt mal an. Sagen Sie dem Kollegen hier, wie die beiden ausgesehen haben. Beschreiben Sie einfach alles, woran Sie sich erinnern können.«
»So wie in den Filmen im Fernsehen?«
»Genau so.«
Der Mann gewann zunehmend an Sicherheit. Er spürte, dass er gebraucht wurde, dass es von ihm ganz allein abhing, ob dieses Verbrechen aufgelöst werden konnte.
Oberhammer blieb während den Beschreibungen des Mannes ruhig sitzen, ohne ihn zu unterbrechen. Je mehr er erzählte, desto deutlicher wurde das Bild, das auf dem Zeichenblock entstand.
*
»Wo ist der Kilian?«, fragte Heinlein Sabine, als er ins Zimmer kam.
»Ist er nicht bei dir gewesen?«
»Nein. Hätte er?«
»Er sagte, dass er zur Fundstelle rausfahren würde, um zu sehen, wie weit du mit der Leiche bist.«
»Bei mir war er auf jeden Fall nicht.«
Heinlein setzte sich an seinen Schreibtisch und schaute auf das Chaos, das dort herrschte. Oberhammers Aufräumaktion hatte sein System kräftig durcheinander gewirbelt. Er nahm dreißig Zentimeter Akten von oben und begann, sie neu zu ordnen. Dabei wählte er ein nur ihm vertrautes System. In die linke obere Ecke seines Schreibtisches kamen die Fälle, die bisher jeder Aufklärung trotzten. Nach rechts, in abfallender Reihenfolge, gruppierten sich Akten, die mehr Hinweise beinhalteten als die vorangegangenen. Von rechts beginnend, eine Lage tiefer, folgten in Gegenrichtung Fälle, bei denen Zeugenaussagen vorlagen, die nach einer bestimmten Zeit nochmals geprüft wurden. In Schlangenlinien ging es dann weiter, bis die Akten ›Tiepolo‹ und ›Schädel‹ das Ende bildeten. Die Akte ›Soko Löwen‹ war nicht dabei. Aufgeregt suchte Heinlein unter den verbliebenen fünfzig Zentimeter Akten, die noch nicht eingegliedert waren. Als er nichts fand, ging er zu Sabine und fragte sie: »Sag mal, ich kann die Akte ›Löwen‹ nicht finden.«
»Kannst du auch nicht. Ich hab sie.«
Sie griff nach hinten, holte sie von einem Stapel herunter und gab sie ihm.
»Was machst du mit der Akte?«
»Uschi hatte angerufen und sich das Protokoll der Zeugenaussage faxen lassen.«
»Was?«, fragte Heinlein entsetzt.
»Oberhammer wollte den
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