Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Tür gestellt, damit er endlich kapiert, dass es mir ernst war. Ich habe die LKW-Schlüssel versteckt, damit er nicht mehr wegfahren konnte. Ich habe mit seinem Chef gesprochen, ob er ihm nicht einen Job im Büro geben könne. Er sei für die Straße geboren und nicht für den Schreibtisch, sagte er, nahm seine Schlüssel und war für die nächsten zwei Wochen verschwunden. Als er weg war, verstand ich, was er damit meinte. Sein Zuhause war da draußen. Irgendwo da draußen. Nicht bei uns.«
»Und das hat ihn umgebracht«, brauste Kilian auf. »Das war es doch, oder? Er konnte dann nicht mehr nach Hause zu uns.«
Katharina schwieg und schaute weg. Kilians Puls pochte vor Wut auf seine Mutter. Sie hatte ihn vertrieben, sie hatte ihn getötet. Irgendwo auf einem dreckigen LKW-Parkplatz in Jugoslawien hatten sie ihn gefunden. Ausgeraubt, erschlagen und verblutet lag er im Gebüsch.
»Ich weiß es nicht«, sagte Katharina unter Tränen. »Ich wollte doch auch, dass er bei uns bleibt. Nichts anderes. Aber ich konnte ihn nicht halten.«
Kilian stand auf, ging an den Rand der Terrasse und schaute hinunter auf die Stadt. Er zwang sich zur Ruhe. Es fiel ihm nicht leicht. Was sollte er ihr noch sagen? Er wusste es nicht, und es reichte ihm auch für heute. Es war genug, und es war passiert. Nichts konnte seinen Vater wieder lebendig machen. Nicht seine Vorwürfe und nicht die Tränen seiner Mutter.
Katharina trat an ihn heran und umarmte ihn.
»Es tut mir Leid, Johannes. Ich wünschte, es wäre nicht passiert.«
Kilian löste sich abrupt aus den Armen seiner Mutter. Er wollte ihr jetzt nicht nah sein, er musste erst darüber nachdenken, was sie ihm gesagt hatte.
»Tut mit Leid, Mutter, aber es geht jetzt nicht. Vielleicht später.«
Er drehte sich um und ging.
17
Freitag.
13.05 Uhr. Ein Streifenwagen kommt vor die Polizeidirektion gefahren. Zwei Polizeibeamte und ein Mann steigen aus. Sie führen ihn ins Obergeschoss. Dort erwarten ihn der Leitende Polizeidirektor, seine Sekretärin Uschi und der Phantomzeichner Balling. Oberhammer konfrontiert den Mann mit seiner Aussage.
Dieser bestätigt: Er wohne an der Ludwigsbrücke, über dem Lokal ›Die Pille‹, und habe in der betreffenden Nacht, nachdem er mehrmals aus seinem Schlaf gerissen worden war, die Polizei über die Ruhestörung informiert. Nachdem die Beamten wieder abgezogen waren und endlich Ruhe eingekehrt war, sei er wenig später erneut von zwei grölenden Männern aus dem Schlaf gerissen worden. Er sei ans Fenster gegangen und habe die beiden Schreihälse mehrfach ermahnt, die Nachtruhe einzuhalten. Nachdem er ihnen androhte, die Polizei zu rufen, seien die beiden Trunkenbolde in schallendes Gelächter verfallen und sollen ihm erwidert haben, dass die Polizei bereits eingetroffen sei. Einer der beiden habe dann etwas aus seiner Jacke gezogen, das nach einem Ausweis ausgesehen habe. Er sei von ihm aufgefordert worden, in sein Bett zurückzukehren. Ansonsten drohten sie ihm mit einer Personen- und Hauskontrolle.
»Und wieso haben Sie sich auf diese Drohung eingelassen?«, wollte Oberhammer wissen.
Der Mann druckste herum, wollte nicht mit dem wahren Grund herausrücken.
Schließlich setzte ihn Oberhammer unter Druck. »Wir können die Durchsuchung auch gleich nachholen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Der Mann gab an, dass er sich bei seiner Pensionierung ein Hobby gesucht hätte, das Anlass zu Spekulationen geben könnte. Oberhammer ließ nicht locker. Der Mann erzählte von seiner Leidenschaft zur Astronomie und dass er zu diesem Zweck mehrere Fernrohre am Fenster postiert habe. Oberhammer konnte sich auf die Zurückhaltung des Mannes keinen Reim machen. Der Mann gab schließlich zu, dass er auch mit einer digitalen Kamera experimentiere, die er an sein Fernrohr anschließe. Und dass einige der Bilder, die damit mache, schnell missverstanden werden könnten.
Oberhammer verstand nicht, von welchen Bildern der Mann sprach.
Dieser gab daraufhin zögerlich an, dass er leidenschaftlich gerne Fenster in ihren verschiedenen Formen fotografiere und dass diese Bilder in seinem Zimmer hingen.
Uschi wandte sich vor Abscheu ab, Oberhammer und der Phantomzeichner versuchten sich nichts anmerken zu lassen.
»Wie auch immer«, sagte Oberhammer, »das hat nichts mit dem zu tun, wieso Sie heute hier sind. Sie haben also die beiden Männer und ihr Tun auf der Brücke beobachtet?«
»Ja, habe ich. Mit meinem Nachtsichtgerät konnte ich alles erkennen. Sie sind auf
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