Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
keine runden Pupillen besaßen, sondern geschlitzt waren wie die einer Katze oder eines Reptils.
Schweißtropfen standen wie milchige Perlen auf der Stirn der Gestalt im rubinroten Wams. Sie sammelten sich bei jeder Bewegung und flossen an den Schläfen entlang auf den nassen weißen Schal. Sie lag auf dem Rücken und betrachtete eine ferne Landschaft, die über ihren Händen entstand. Die blutgetränkte Feder lag neben ihr, und an der Spitze klebte verhärteter Putz.
5
»Schaaatz!«, rief Claudia zum wiederholten Mal aus der Küche herauf. »Jetzt mach. Es ist schon halb acht durch. Du kommst eh schon zu spät zum Dienst.«
Heinlein zog das Kopfkissen über den Kopf. Er wollte nichts hören oder sehen, geschweige denn aufstehen. Und am allerwenigsten hatte er Lust auf diesen Tag. Er würde anrufen und sich krankmelden. Besser, er würde Claudia anrufen lassen. Einer besorgten Ehefrau nahm man alles ab. Ein Seufzer hier, ein Schniefen da, und schon war die Sache geritzt. Welcher Mann könnte da noch dumme, neugierige Fragen stellen?
»Schatz! Komm endlich, das Frühstück ist fertig«, rief Claudia erneut.
Ihre Aufforderung wurde dringlicher, das maß er an der Aussprache des Wortes »Schatz«. War es lang gezogen und mit der ihr eigenen tiefen Wärme ausgestattet, war die Welt in Ordnung. Je kürzer »Schatz« jedoch ausfiel und je mehr die Tonlage anhob, desto bedrohlicher wurde die Lage. Der Gipfel war noch nicht erreicht, sie stand erst an der Treppe zum Obergeschoss. Er hatte also Zeit.
Claudia setzte ihre Geheimwaffe ein. Die Kassetten-CD- Radio-Maschine in der Küche spielte die neueste Marie Boine. Die Klänge stammten aus Lappland und hatten den Rhythmus nordamerikanischer Indianertänze, vermischt mit einem Gurren und Ächzen, das Heinlein binnen einer Minute zum Krieger machte. Er konnte das Weibsstück nicht ausstehen. Bekäme er sie mal in die Finger, würde er sie häuten, garen und den Wölfen vorwerfen. Aber nicht jetzt. Später, wenn er ausgeschlafen hatte und der Tag zum Abend geworden war, würde er das Beil ausgraben und auf die Jagd gehen.
Heinlein stülpte sich zusätzlich Claudias Kissen über den Kopf. Aber es half nichts. Das Gejammer drang ihm durch Mark und Bein.
Er tastete nach dem Radiowecker auf dem Nachtschränkchen. Als Erstes erwischte er das Hochzeitsfoto im silbernen Zierrahmen, dann die Mineralwasserflasche und zum Schluss den Wecker selbst. Alle drei stürzten zu Boden, aber das Radio sprang an und spielte Strada del sole von Fendrich.
»Ja, das ist Musik«, gurrte Heinlein und gab sich ganz der Reise nach Italien hin.
Er überquerte soeben den Brenner mit seinem offenen Alfa Spider. Die Straße war frei, er konnte mühelos in den Vierten hoch schalten, und die Nadel zeigte nach einem Kilometer bereits auf die zweihundert. Der warme Wind blies sein Haar aus dem Gesicht, die Sonne hatte nichts gegen die neue Sonnenbrille auszurichten, sein Blick war ungetrübt, alle Grenzen hinter ihm. Ein verrostetes Hinweisschild zeigte eine Tanke in fünfhundert Meter Entfernung. Er schaltete erst auf der Abzweigspur herunter und drosselte den Motor, ohne die Bremsen zu betätigen. Bremsen war etwas für Anfänger. Sein fliegender Teppich landete exakt vor der Zapfsäule. Er blieb sitzen und wartete. Aus der Tür trat der Tankmeister im ölverschmierten Overall. Doch irgendetwas stimmte nicht an ihm. Der Overall war bis zum Nabel offen, zeigte braune, zarte Haut, und zwei Wölbungen hüpften bei jedem seiner Schritte. Sein Haar war nicht schwarz, sondern blond, lang und nicht kurz. Die Lippen voll und rot, die Augen dunkel und geheimnisvoll, die Zähne strahlender als der Schnee auf der Zugspitze. Er ging zwischen den Zapfsäulen hindurch, lehnte sich auf die Beifahrertür und ließ den Blick bis unter den Nabel zu. Ein Höschen sah Heinlein nicht.
»Prego. Was wünschst du, Giorgio?«, fragte die atemberaubendste Frau, die er auf all seinen Reisen je zu sehen bekommen hatte.
Giorgio lehnte sich hinüber, legte seine Hand um ihren Hals und führte ihre Lippen an seine. Sie glühten wie Feuer und suchten das Nass, das nur diese Frau ihm geben konnte. Er schloss die Augen und war bereit, Kontakt aufzunehmen.
»Schorsch!«, donnerte es schrill über ihn herab. »Wenn du deinen Arsch nicht gleich in die Küche bewegst, dann kannst du was erleben.«
Heinlein riss die Augen auf.
Die Frau im Overall war verschwunden, der Spider geklaut, die Sonne hinter den Gardinen versunken. Heinlein
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