Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
geschehen und trank aus ihrem Glas. Sie meinte, spontaner körperlicher Kontakt des Vaters zum Kind und dass sie ihm dazu die Erlaubnis gibt, sei die essenzielle Grundvoraussetzung für das väterliche seelische Gleichgewicht, um damit seine Rolle als Oberhaupt und Beschützer der sozialen Gruppe, ergo der Familie, zu festigen. Das wäre wichtig in der heutigen Zeit, in der Männer sich neu finden mussten.
Claudia hörte ihr dabei immer aufmerksam zu.
»Und? Schon nervös?«, fragte Heinlein Vera.
»Nervosität begründet sich in der Angst des Versagens oder zumindest in der Furcht, dem Geforderten nicht entsprechen zu können. Wie du siehst, mein Erzeuger und unbestrittener Herrscher dieser Behausung und dieses Clans, ich bin die Ruhe selbst.«
Heinlein, Claudia und Thomas starrten sie an. Keiner wusste,
wovon sie sprach, und keiner wagte nachzufragen. Die Angst vor einer Antwort war größer.
»Wenn du am Samstag bei der Nachtmusik zwischen all den berühmten Musikern sitzt, denkst du dann auch mal an deinen alten Vater, der dich gezeugt, aufgezogen und ernährt hat?«, fragte er.
In seiner irrwitzigen Frage stand das Bedürfnis nach Bestätigung und Hoffnung. Hoffnung darauf, dass auch er vielleicht eines Tages eine Begabung an sich feststellen konnte, die ihn vom Rest der Welt abhob.
Jetzt reichte es Vera. Die Stunde auf der Couch war beendet, den Sockel, auf dem er sich wähnte, galt es wieder niederzureißen.
»Wenn ich neben diesen berühmten Musikern spiele, dann werde ich daran denken, dass es nur Männer sind«, sagte sie, gab ihm einen Kuss und verschwand durch die Tür.
Ahnungslose Stille kehrte abermals ein. Was mochte sie nur damit gemeint haben, tickte es in den Köpfen der Familie Heinlein. Niemand schien eine Antwort zu finden. Vera war anders, das war klar. Doch von wem hatte sie das?
»Einen schönen Tag«, rief Heinlein ihr noch nach.
Thomas ahnte, dass es nun wieder an ihm war, und kam seinem Vater zuvor. Er schnappte sich den Schulranzen.
»Wir sprechen uns noch«, drohte ihm Heinlein und ließ ihn ziehen.
Die Kinder waren aus dem Haus. Claudia legte ihre Hand auf Heinleins.
»Also, jetzt erzähl. Wie war’s gestern Abend bei der Verabschiedung?«, fragte sie.
»Frag nicht«, wehrte er mutlos ab.
»So schlimm?«
»Schlimmer. Dass ich den Job vom Erwin nicht bekomme, war eh klar. Aber jetzt kommt einer aus München. Ein Kaliber, hat der Oberhammer g’sagt, der den Laden wieder auf Vordermann bringen soll.«
»Wart’s doch mal ab, vielleicht …«
»Vielleicht macht der Oberhammer auch ’nen Kopfstand, fällt mir um den Hals und will mein Freund sein.«
»Jetzt übertreib nicht. Vielleicht ist er auch ganz in Ordnung, der Neue.«
»Bestimmt. Wenn er der Wunschkandidat vom Oberhammer ist, dann wird er ganz sicher nicht mein Freund sein. Vergiss es.«
Heinlein nahm einen Schluck vom Tee. Selbst die giftgrüne Lauge konnte ihm heute nichts mehr anhaben. »Wie wär’s, wenn ich mal rumhorche, was es für ’nen Bullen sonst noch für Möglichkeiten gibt?«
»Wie meinst du das? Willst du kündigen?«
»Erst mal horchen und schauen.«
»Schorsch, jetzt wart’s doch mal ab.«
Zu einer Antwort kam Heinlein nicht mehr. Das Telefon klingelte. Er ging in den Flur und nahm das Gespräch entgegen. Es war Uschi. Sie klang unüberhörbar mitgenommen.
»Du sollst gleich nach Frankfurt fahren und den Neuen abholen«, sagte sie mit heiserer Stimme.
Heinlein hatte ein gespaltenes Verhältnis zur Assistentin Oberhammers. »Wieso ich? Bin ich jetzt auch noch Taxifahrer für euch? Und wieso überhaupt Frankfurt? Ich denk, der Neue kommt aus München?«
»Frag net. Heut Morgen kam ein Anruf aus dem Ministerium. Er kommt mit der Alitalia aus Genua. Heißt Kilian.«
»Kilian? Seit wann haben die Italiener fränkische Namen?«
»Isser auch nich. Muss irgend so ein Fuzzi aus München sein, der für das LKA im Ausland unterwegs war.«
Das ist also das Kaliber, dachte Heinlein. Ein Edelbulle, der auf Staatskosten Urlaub machte.
»Noch was, heute Morgen ist ein Toter in der Residenz gemeldet worden. Die Kollegen vom KDD sind bereits vor Ort. Der Chef lässt dir ausrichten, dass du mit dem Neuen nachkommen sollst.«
Aha, die Jungs vom Kriminaldauerdienst waren also schon da. Gut, dass seine Tage im Bereitschaftsdienst vorbei waren.
*
»Ihr Gate ist D 28, Signor Kilian«, sagte die hübsche junge Dame der Alitalia und reichte ihm seinen Flugschein.
Kilian nahm ihn entgegen, blieb aber
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