Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Seine Füße standen zwischen Scherben und Mineralwasser. Das Radio ersoff im Schmäh des Herzblatt-Königs.
Claudia stand im knöchellangen Nachthemd vor ihm. Es war übersät mit Halbmonden und funkelnden Sternen, die eine tiefblaue, endlose Galaxis darstellten. Ihr brünettes Haar hatte sie in einem Dutt mit zwei Holzspießen nach oben gesteckt. An ihren Enden stierte jeweils eine indianische Fratze auf Heinlein herab, die, laut Claudia, ihr Karma positiv beeinflussen sollten.
»Was hast du da wieder angestellt?«, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
»Bin hängen geblieben«, erwiderte Heinlein schuldbewusst. Er beugte sich nach vorne und sammelte Foto und Wecker ein.
»Schorsch«, sagte sie und schüttelte besorgt den Kopf, »ich weiß nicht, wie das mit dir weitergehen soll.«
Er stand auf, tapste vorsichtig an ihr vorbei und wollte schon im Badezimmer verschwinden. Dann aber drehte er sich um und zog sie an sich heran, spürte erneut das Glühen seiner Lippen und küsste sie. Claudia war überrumpelt. Sie ließ es geschehen und erwiderte die Küsse ihres Schorsch, der, wenn er wollte, alle anderen in den Schatten stellte.
Während Claudias Nachthemd höher rutschte, schnitt eine Violine die Szene entzwei. Vera war wach. Sie pflegte gleich nach dem Aufwachen jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde zu üben, denn zu diesem Zeitpunkt waren die vibes aus ihren Träumen noch präsent, und die musste sie »schwingen« lassen, bevor der Alltag sie ihr raubte. Für sie gab es da nichts zu diskutieren, wenngleich Claudia und Schorsch sie um eine Verlagerung der vibes in die Nachmittagsstunden gebeten hatten. Aber wenn ein Wunderkind, das sie zweifellos in den Augen ihres stolzen Papas war, seinen Gefühlen Ausdruck geben musste, dann war Zeit kein Argument.
Claudia schob Giorgio von sich. Nicht ohne Widerstand, denn er war gerade erst in Fahrt gekommen.
»Schorsch, jetzt hör auf. Die Vera ist wach.«
Das war das definitive Ende der Fahrt auf der Straße unter der Sonne. Schorsch gehorchte schweren Herzens, ließ sie los und folgte ihr die Treppe hinunter in die Küche.
Claudia machte sich über die Vollkornbrote her und bestrich sie mit Bergkäse aus garantiert biologisch kontrollierter Tierhaltung. Heinlein setzte sich an den Tisch und goss sich aus der Kanne ein. Doch nicht Kaffee, sondern eine dünne, grünliche Flüssigkeit füllte seine Tasse.
»Mensch, Claudia«, sagte er angewidert, »was ist das schon wieder für ein Zeugs?«
»Grüner Tee. Hab ich erst gestern unten im Naturkost gekauft. Die Bärbel schwärmt davon. Sie sagt …«
»Das interessiert mich nicht, was die Bärbel sagt. Ich will einfach nur einen Kaffee. Ist das zu viel verlangt?«
»Schorsch«, begann sie mit weiser Stimme.
Sie war vorbereitet, hatte sich alles genau von Bärbel erklären lassen, denn sie ahnte, was ihr Schorsch sagen würde.
»Kaffee ist das reine Gift. Echt. Der haut dir auf Dauer absolut den Blutdruck so weit nach oben, dass du irgendwann aus den Latschen kippst und ’nen Herzinfarkt bekommst. Bestimmt. Des is so sicher wie des Amen in der Kirch.«
Gegen die Kirche kam Heinlein natürlich nicht an. Seine Claudia bemühte sich so um ihn, dass er sich nicht erwehren konnte, selbst wenn er das lätscherte grüne Zeugs am liebsten in den Ausguss gegossen und nochmals nachgespült hätte. Er musste also auf seinen Kaffee warten, bis er im Büro war. Sabine, seine Assistentin, kochte ihn so, wie er ihn liebte – mittel, mit einem Löffel Kaba. Das gab dem Kaffee eine gewisse Rundung.
Heinlein hob die Tasse, nippte, schluckte und setzte sie ab. Claudia erwartete ungeduldig sein Urteil. Er wusste das.
»Mmh«, log er, »gar nicht so schlecht.«
»Siehst du? Einfach erst mal probieren.«
Heinlein sagte nichts mehr. Er lächelte sie an, gab ihr einen Kuss und griff in den Brotkorb. Doch er fand kein frisches Brötchen, sondern eine zerbrechliche, furztrockene Scheibe Wasa. Er setzte erneut zur Revolution an, unterließ es aber, da Claudia bestimmt bereits eine Erklärung und einen Warnhinweis über verseuchtes und genmanipuliertes Korn auf den Lippen hatte. Er nahm die rechteckige Scheibe, bestrich sie mit Butter – auf die konnte selbst Claudia noch nicht verzichten, da es ihr bisher an einer Alternative fehlte – und biss hinein. Krachend zerfiel das Brett in seinem Mund. Während er knirschend die Stücke mit den Zähnen zermalmte und
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