Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
hinunterwürgte, brauchte er jetzt wirklich etwas Flüssiges, damit es ihm nicht im Halse stecken blieb. Hastig griff er nach der Tasse und spülte das Zeugs weg.
Claudia beobachtete ihn und schlussfolgerte aus seiner Ungeduld, dass es ihm letztlich schmeckte.
»Du wirst sehen«, prophezeite sie ihm, »in ein paar Wochen haben wir dich völlig entgiftet. Bärbel hat mir versprochen, mich in den Ayurveda-Kurs reinzukriegen. Der ist normalerweise seit Monaten ausgebucht, aber eine von den Frauen ist ausgefallen und …«
Heinlein horchte auf und unterbrach sie. »Wenn der Kurs so begehrt ist, dann steigt man doch nicht einfach so aus?«
Claudia stand unversehens auf und widmete sich den Vollkornscheiben, die sie für Thomas und Vera als Pausenbrot vorbereitete.
»Sag schon«, drängte Heinlein, »wieso ist die Frau ausgestiegen?«
»Ich weiß nicht«, wehrte sie ab. »Gab irgendwie Streit«, murmelte sie vor sich hin.
Aha, dachte Heinlein, daher weht der Wind. Streit. Kein Wunder, den würde sie auch kriegen, wenn er nicht bald wieder was Anständiges auf den Teller bekäme. Noch bevor er nachsetzen konnte, kam Thomas die Treppe herunter in die Küche. Beim Anblick seines Stammhalters blieb Heinlein die Spucke weg.
»Morgen, mein Schatz«, trällerte Claudia, während sie die Brote in Papier wickelte und ihrem Sohn einen Kuss gab. Er ließ es über sich ergehen und traute sich nicht, sich an den Tisch zu setzen.
Claudia stupste ihn an und murmelte etwas wie: »Mach schon. Los.«
Thomas setzte sich an die andere Ecke des Tisches, ohne seinen Vater anzusehen. Heinlein saß sprachlos da und versuchte zu verstehen, was er da sah.
Um seinem Lieblingsspieler Giovane Elber möglichst nahe zu kommen, hatte sich Thomas tags zuvor seine blonden, glatten Haare von Claudia schwarz färben und bis auf fünf Millimeter Länge scheren lassen. Für Heinlein sah sein Sohn aus wie ein verhungerter Straßenjunge aus den Slums von Rio
de Janeiro. Obendrein trug er das Trikot des verhassten FC Bayern München. Die Frisur hätte er ihm vielleicht noch durchgehen lassen, aber nicht das Trikot des Erzfeindes. Er, Heinlein, ein stolzer Franke, war treu ergebener »Clubberer« – nicht nur Fan, sondern eine Säule des Traditionsclubs 1. FC Nürnberg, des einzigen wahren Fußballvereins neben Schalke.
»Des därf doch net wahr sei«, fluchte Heinlein und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Frühstück tanzte. »Wie schaust du denn aus? Und was ist des für a Fetzen, den du da anhast?«
»Ich wollte es dir eigentlich gestern Abend noch sagen«, kam Claudia ihrem Sohn zur Hilfe und nahm ihn schützend in den Arm. »Aber …«
Weiter kam sie nicht. Heinlein sah rot – die Farbe des Feindes.
»Mit dem Ding gehst du mir net aus dem Haus. Ich schäm mich ja vor allen Leuten zu Tod. Raus damit und gleich nein Ofen damit. Mein Sohn in Bayernlumpen. Ich fass es nicht«, klagte Heinlein.
»Aber der Opa hat’s mir doch geschenkt«, wehrte sich Thomas.
»Was? Der Opa?«
Jetzt war alles klar. Sein Schwiegervater stand hinter dem Anschlag. Keine Gelegenheit hatte er bisher ausgelassen, ihn zu ärgern. Nicht einmal vor seinem eigenen Fleisch und Blut machte er Halt, der Tagdieb, der greißliche. Aber er durfte ja nichts dagegen unternehmen. Er war der Vater seiner Frau, der Opa seiner Kinder. Das würde er ihm heimzahlen. Eines Tages würde die Gelegenheit kommen.
Noch bevor Heinlein auf seinen Sohn weiter einwirken konnte, kam Vera in die Küche. Sie war ein hübsches vierzehnjähriges Mädchen mit Eigenart und Bestimmtheit. Ihre Moden wechselten schneller, als Heinlein sie aufzählen konnte.
Sie reichten von klassisch bis punkig. Zurzeit war feminines Selbstverständnis à la Emma Peel angesagt.
Vera spielte Violine und Klavier. Zum Ausgleich nahm sie Ballettunterricht. Ihr Ziel war das Studium der Theater- und Musikwissenschaften. Nur in der Kunst sah sie Sinn für ihr Dasein. Die zurzeit aktuelle Weltformel war die Philosophie der australischen Aborigines: Der Traum sei das eigentliche Leben. Und das Leben an sich ein Traum.
Heinlein hatte keine Ahnung, wovon sie da sprach, wenn er sie danach fragte. Aber das war egal. Vera war seine Tochter.
»Morgen«, sagte sie fröhlich in die Runde.
Sie öffnete den Kühlschrank, nahm die Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft heraus und goss sich ein Glas ein. Heinleins Kummer war verflogen.
»Morgen, mein Schatz«, strahlte er und nahm sie auf seinen Schoß.
Vera ließ es
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