Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
ihm. »Sie wollen uns schon verlassen?«
Galina nahm die Sonnenbrille ab. Ihre Augen funkelten hasserfüllt.
Kilian musste weg, schnell, bevor Galina das benutzte, was er mit der Hand fest umgriffen in der Tasche ihres Trenchcoat vermutete.
»Das wäre aber nicht nötig gewesen«, sagte er kaltschnäuzig, umarmte und küsste sie. Er hielt sie so lange fest, bis die vorbeiziehenden amerikanischen Touristen sie ganz umschlossen hatten.
»That’s amore«, flüsterte einer. »How cute«, seufzte eine andere.
Galina wehrte sich mit aller Kraft, griff nach der Waffe in ihrer Tasche. Ein Schuss krachte los und schlug zu ihren Füßen in den Boden ein.
Die Amis stoben auseinander. Nur ein paar wenige suchten nach dem Ursprung des Schusses. Im Mann mit dem sommerlichen Outfit, der ein paar Meter entfernt die Waffe auf Kilian richtete, fanden sie ihn. Zwei warfen sich beherzt auf ihn.
Ein Kopfstoß streckte Galina nieder. »Du verdammtes Miststück«, sagte Kilian und ließ sie zu Boden gleiten. Hastig suchte er nach ihrer Waffe. Die linke Tasche musste es sein, war es aber nicht.
Noch einmal krachte ein Schuss. Schreie und Hilferufe hallten durch die nackten Gänge. Ein Amerikaner fiel regungslos zur Seite, der andere robbte weg.
Der Mann erhob sich, ging auf Kilian zu und feuerte. Flirrend zog die Kugel an seinem Kopf vorbei. Kilian warf sich der Länge nach hin und suchte Schutz entlang der Gangway.
Der zweite und der dritte Schuss kamen kurz hintereinander aus einer automatischen Waffe. Ein Flughafenpolizist näherte sich geduckt von der anderen Seite.
Kilian schaffte es bis zur Ecke eines Seitenganges. Hinter ihm schwirrten Querschläger durch die Luft. Er blickte zurück und sah, wie der Mann im bunten Hemd Galina aus der Schusslinie bugsierte – genau in seine Richtung.
Kilian raffte sich auf und stürzte in den nächstgelegenen Raum, an jemandem vorbei, der sein Heil außerhalb einer Toilette in der Flucht nach vorne suchte. Er schloss die Tür und stemmte den hüfthohen Kasten für die Papierhandtücher gegen den Knauf. Ein viel zu früher Schlag gegen die Tür machte ihm klar, dass er noch lange nicht in Sicherheit war.
Sirenengeheul setzte ein, und Schritte von mehr als einer Person entfernten sich.
Er musste sich was einfallen lassen. Galina und ihr Helfer würden nicht so schnell aufgeben. In dem Chaos konnte man leicht untertauchen, aber genauso schnell zuschlagen.
Zudem hatten ihn die Flughafenpolizisten am Sicherheitscheck mit Pendini zusammen gesehen. Pendini … er sah ihn plötzlich vor sich, wie er zusammengesackt auf der Bank ausblutete. Es würde lange dauern, ihnen zu erklären, was wirklich vorgefallen war. In der Zeit, die er auf einer Wache verbrachte, bot er ein treffsicheres Ziel.
Kilian stemmte sich am Waschbecken ab und schaute in sein Spiegelbild. Es musste ihm schnell etwas einfallen, bevor sie alle über ihn herfielen. In der Toilettenkammer hinter ihm erspähte er einen Koffer. Er öffnete ihn und fand Klamotten, Rasierzeug und einen Pass mit dem amerikanischen Weißkopfadler darauf. Der Mann auf dem Foto trug kürzere Haare als er, hieß John, hatte aber ungefähr sein Alter.
*
Heinlein trat auf die Bremse. Die kurvige Autobahn durch den Spessart war dreispurig mit LKWs verstopft. Vor ihm gackerte und flatterte es aus einem holländischen Geflügeltransporter, hinter ihm schoben sich immer mehr Fahrzeuge zu einem Stau zusammen. Die Sonne stand hoch und brannte auf das Dach seines A6. Er ließ das Fenster herunter, lehnte sich hinaus und schaute nach vorne. Kein Durchkommen. Alle Spuren waren dicht. Heinlein fuhr das Sonnendach zurück und lehnte sich in den Sitz.
»Dann warten wir eben ein Weilchen«, sagte er und schloss die Augen.
Das Radio dudelte einen Hit aus den Achtzigern von den Rodgau Monotones: Erbarmen, die Hesse komme!
»Bloß net«, zischte Heinlein und schob eine Kassette hinein. Peter Maffay mit Sonne in der Nacht erklang. Er schloss erneut die Augen und lehnte sich zurück. Das war Musik nach seinem Geschmack. Maffay hatte es drauf. Ein echter Rocker.
Die Sonne tauchte in einem satten Rot ins Meer. Georges ging am Strand entlang. Es war seine Zeit. Nach der aufreibenden Arbeit an seinem neuen Gedichtband vertrat er sich gerne die Beine am einsamen Strand. Die wenigen Touristen, die sich hierher verloren, waren bereits unter der Dusche. Er genoss die Ruhe, die mit einer sanften Brise einher ging. Aus dem fernen kleinen Dorf am Ende der Bucht kam ihm eine
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