Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Titel: Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
Vom Netzwerk:
junge Frau entgegen. Es war Chantal. Er erkannte sie an ihrem Gang und an den langen blonden Haaren, die der Wind wie eine Fahne mit sich nahm. Chantal servierte ihm jeden Morgen Café au lait und Croissants in der kleinen Pension, in der er ein Zimmer mit Balkon und Blick aufs Meer bezogen hatte. Sie war seine Inspiration und seine heimliche Liebe.
    Ein junger Bursche, Jacques oder Jack, holte sie jeden Abend mit seinem Motorrad ab. Er war ein ungehobelter Klotz aus einer Autowerkstatt. Er kommandierte sie herum, und wenn sie ein Wort mit Georges sprach, dann stellte er sie zur Rede. Georges hatte sich vorgenommen, sich den Burschen das nächste Mal vorzuknöpfen und ihm Manieren beizubringen.
    Chantal erkannte ihn und winkte ihm zu. Sie trug ein dünnes Kleid aus Baumwolle, das ihre Formen selbst auf die Entfernung hin exakt abbildete. Georges erwiderte den Gruß. Sie war allein. Kein Jacques oder Jack weit und breit.
    »Hallo, ma chère. Ça va?«, begrüßte er sie.
    Ohne eine Antwort gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. Sie wirkte verlegen, als wollte sie etwas sagen, doch traute sich nicht.
    »Was ist?«, fragte er.
    Sie schaute aufs Meer hinaus. Eine Welle schwappte heran und umspülte ihre nackten Füße.
    »Hat er dir etwas getan?«, fragte Georges besorgt.
    Sie schüttelte den Kopf und folgte der Welle, die soeben ins Meer zurückfloss. Eine neue war gerade im Anrollen. Chantal machte keine Anstalten, ihr auszuweichen. Sie ließ sich in das Wasser fallen und war für einen Moment nicht mehr zu sehen. Als die Welle sich zurückzog, lag sie vor ihm. Auf dem
    Rücken, den Kopf nach hinten gelehnt, die Haare im Sand. Die nasse Baumwolle schmiegte sich an ihren Körper wie eine zweite Haut. Ihre kleinen Brüste, die schmale Taille und die langen Beine machten sie einer Nixe gleich, die soeben dem Meer entstiegen war, um ihn in ihr Reich zu entführen. Georges legte sich an ihre Seite.
    Sie wandte sich ihm zu und sagte schüchtern: »Ich ’abe mich von Schack getrännt. Er war ein schlächter Mann. Nicht gut für mich.«
    Georges Herzschlag schnellte in die Höhe.
    »Ich …«, führte sie fort.
    »Sag schon. Was liegt dir auf dem Herzen«, ermutigte er sie, ihr kleines Geheimnis preiszugeben. Dabei sah er genau, was ihr auf dem Herzen lag – ein dünner, nasser Stoff. Noch.
    »Es ist mir peinlich«, sagte sie und sah verstohlen weg. Heinlein führte ihr Gesicht zärtlich an seines heran. Seine Stimme war zuckersüß. »Du musst dich vor mir wegen, nichts schämen. Sag es mir.«
    Chantal blickte auf, ihm direkt in die ungeduldigen Augen, und sagte: »Ich glaube, ich ’abe mich in dir verliebt.«
    Georges traf es wie einen Blitz. Seine Chantal, die ihm jeden Morgen einen Grund zum Aufstehen gab? Seine Chantal, deren unschuldiges Lächeln ihn erschütterte, als bebte die Erde?
    Und sie bebte. Gerade eben. Georges lehnte sich hinüber, um sie zu küssen, als ein Geschrei, Gegacker und Fluchen vom Himmel auf ihn herunterfuhren.
    Heinlein riss die Augen auf. Die Schnauze seines A6 hatte sich in die Hinterachse des LKWs vor ihm gerammt. Die Ladung mit den Hühnerkäfigen ergoss sich auf die Straße und über seinen Wagen. Das aufgeschreckte Federvieh humpelte gackernd über die blutigen Kameraden. Die, die noch wegflattern konnten, machten sich in alle Richtungen davon.
    Andere fanden ihr Ende unter den nachfolgenden Autos, wenige brachten sich auf den Rücksitzen der Cabrios in Sicherheit.
    »Verdammter Mist!«, schrie Heinlein.
    Ein stechender Schmerz fuhr ihm durchs Knie. Auf der Haube plusterte sich ein Hahn auf und stakste aufgeregt umher. An der Windschutzscheibe glitschte eine tote Henne vom Dach herunter und zog eine Blutspur nach sich.
    Der LKW-Fahrer stieg aus und kam auf ihn zu. Er trug keine Schuhe, war barfuß, aber trotzdem zwei Meter groß. Sein nackter Oberkörper war mit Tätowierungen übersät.
    Eine Sonnenbrille trug er nicht. Die schwarzen Augen lagen in tiefen Höhlen. Er blieb an der Fahrerseite stehen, bückte sich herunter und schaute Heinlein zornig an.
    *
    Kilian kam aus der Toilette und ging mit dem Koffer in der Hand auf Gate D 28 zu, als wäre nichts passiert. Um ihn herum schafften Sanitäter Verletzte weg, Polizisten hantierten nervös mit ihren Maschinenpistolen, schrien sich Anweisungen zu, die sie durch den Sprechfunk erhielten. Zuckende Blaulichter flackerten durch die Fenster herein.
    »Documenti!«, schnauzte ihn ein Polizist mit vorgehaltener Maschinenpistole an.
    Kilian

Weitere Kostenlose Bücher