Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
bewunderndes »Ahh«. Doch es kam nicht. Pelligrini schaute stattdessen an ihm vorbei auf die Beamten, die sich um die Leiche des Wachmannes scharten. Aumüller zeigte ihnen die nagelbesetzte Latte im Hals des Wachmannes und deutete nach oben. Die Beamten folgten seinem Hinweis und begutachteten die Balustrade am oberen Ende der Treppe, von der der Wachmann aus gestürzt sein musste.
Oberhammer konnte mit derlei herumstehenden Ansammlungen nichts anfangen, stemmte die Hände in die Seite und wies seine Männer breitbeinig an.
»Ja, was is denn da unten los? Vorwärts, schafft’s was.«
Die Beamten stoben auseinander und gingen ihrer Arbeit nach. Zumindest taten sie so.
»Schneider! Wo ist der Schneider?«, rief Oberhammer.
Ralf Schneider, Dienstgruppenleiter des KDD, befragte gerade den Chef des Wachpersonals und ließ sich die Personalien des Wachmannes geben.
»Hier«, rief Schneider und lief auf die Treppe zu. »Hier bin ich, Herr …«
»Wie lange soll das eigentlich noch dauern, Schneider? Machen Sie Ihren Leuten mal Dampf unter dem Hintern, damit hier weitergearbeitet werden kann, und holen Sie die Bestatter endlich her«, kommandierte Oberhammer von der Treppe herunter.
Schneider nickte und gab den Befehl per Augenkontakt an seine Kollegen weiter. Die, die Oberhammer den Rücken zugewandt hatten, verzogen das Gesicht und machten Grimassen. Keiner wollte die Anweisung ihres Direktors und Herrn mit Worten kommentieren. Zumindest trat keiner vor und stellte klar, dass sie bereits mit Hochdruck an der Spurensicherung arbeiteten.
»Alles klar, Ralf?«, fragte Heinlein, der mit Kilian soeben in die Eingangshalle kam.
»Mensch, wo steckst du die ganze Zeit?«, antwortete Schneider mit gedämpfter Stimme. »Der Alte ist oben und macht mich rund, nur weil du …«
Schneider stockte. Er betrachtete sich Heinlein mit seiner aufgerissenen und blutigen Hose. »Wie schaust du denn aus?«
»Cool down«, erwiderte Heinlein keck. »Alles halb so dramatisch.«
Schneiders Aufmerksamkeit wechselte zu Kilian, der in Jeans, Schlangenlederstiefeln, Holzfällerhemd und Cowboyhut hinter Heinlein stand.
»Wo hast’n den Cowboy aufgelesen?«, fragte er lässig.
»Vorsicht«, antwortete Heinlein.
Er stellte sich neben Schneider und wandte sich Kilian zu.
»Darf ich vorstellen? Das ist Kriminalhauptmeister Ralf Schneider vom KDD. Und das hier ist unser neuer Chef. Leiter des K1, Kilian.«
Schneider blieb die Spucke weg. Er schaute sich Kilian von oben bis unten an und konnte es noch immer nicht glauben. Er reichte Kilian verdutzt die Hand.
»Angenehm, meine Name ist …«
»Ich weiß«, unterbrach Kilian, »Sie sind Schneider.«
Er schüttelte ihm achtlos die Hand, ging an ihm vorbei und bückte sich unter dem Trassierband durch. Schneider schaute ihm sprachlos hinterher.
»Mach deinen Mund wieder zu, Ralf. Der Typ ist schon in Ordnung«, sagte Heinlein und gab ihm einen Klaps auf die Schulter.
Kilian blieb am Bauschutthaufen stehen und blickte nach oben. Über ihm erstreckte sich Tiepolos Deckenfresko in seiner ganzen Pracht auf sechshundert Quadratmetern. Es war gewaltig und übte auf ihn den Eindruck von echter Größe aus. Die Art von Größe, die es in Deutschland nicht gab oder die weggebombt worden war und die in anderen Ländern als Grandezza verstanden wurde. Hier, in seiner Heimatstadt, war ein Stück dieser Ehrfurcht einflößenden Größe zu sehen. Tiepolo hatte ein Meisterwerk vollbracht, und jeder, der darunter stand und es betrachtete, wurde sich seiner eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst. Kilian fielen aber auch die beiden gegenüberliegenden Gerüste auf, die Teile des Freskos verdeckten. Das eine baute sich an der Treppenumkehr nach oben auf und fasste den Erdteil Amerika ein. Darüber schwebte ein schmales Gerüst an der Decke, gleich oberhalb des Portraits von Fürstbischof Carl Philip von Greiffenclau. Dünne Stangen gingen wie Antennen von einer winzig kleinen Bühne ab und stützten es an den Seiten der Balustrade ab. Auf die Bühne kam man offensichtlich über eine Leiter, die, zusammengeschoben und an zwei Seilen aufgehängt, zwischen Bühne und Balustrade in der Luft hing.
»Hey, Sie da!«, rief Oberhammer von der Treppe herab Kilian zu. »Bleiben Sie hinter der Absperrung. Hier arbeitet die Polizei.«
Kilian überhörte ihn wissentlich, ging neben Karl in die Hocke und nahm seinen Stetson ab. Er begutachtete die Leiche und fragte Karl ganz selbstverständlich:
»Und? Haben wir schon
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