Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
kurz ED genannt, und fragte, ob sie auch oben alles überprüft hätten.
»Mal langsam. Ich hab auch nur zwei Hände«, kam es von einem Beamten zurück.
»Dann macht ran. Die Frau will wieder an ihre Arbeit gehen«, raunzte Kilian sie an. »Gebt mir Bescheid, wenn ihr was gefunden habt.«
»Wo?«, wollte einer der Beamten wissen.
Kilian grübelte. Ja, wo? Wo konnte man ihn erreichen?
»Leg’s mir auf den Tisch!«, rief Heinlein ihm zu. »Wir sitzen in einem Büro.«
Kilian nahm Heinleins Äußerung beiläufig auf. Das würde sich noch zeigen. Er nahm Gummihandschuhe aus Aumüllers Koffer und zog sie über. Dann ging er neben der Leiche in die Hocke und hob das Kinn des Wachmannes an, um die Wunden genauer zu betrachten.
Die Baulatte mit den Nägeln hatte drei tiefe Löcher in den Hals getrieben. Doch zwischen dem zweiten und dritten Loch erkannte er ein viertes. Es war keine zwei Millimeter vom nächstgelegenen entfernt und schien etwas breiter zu sein.
Kilian kam wieder hoch und zeichnete in Gedanken die mögliche Fallkurve des Wachmannes nach. Dann ging er vorsichtig um den Bauschutthaufen herum. Die Beamten des EDs verfolgten jeden seiner Schritte missbilligend, in der Befürchtung, der Neue beherrsche nicht einmal das Einmaleins der Verhaltensregeln an einem Tatort und könne ihre Arbeit zunichte machen, indem er vorhandene Spuren vernichtete und neue hinzufügte. Doch Kilian setzte jeden seiner Schritte mit Voraussicht. Oberhalb des Bauschutthaufens wandte er sich den EDlern zu.
»Habt ihr alles schon vermessen? Tatortskizze, Bezugsaufnahmen von der Sturz- und Aufprallstelle?«
Die Fragen kamen nicht gut an. Ein Beamter setzte an, doch Schneider hielt ihn zurück.
»Werden wir gleich nachholen, Herr …?«
»Kriminalhauptkommissar Kilian«, antwortete Heinlein für seinen neuen Chef.
»Und wenn Sie schon dabei sind, dann nehmen Sie noch ein paar Abzüge von seinem Hemd und pinseln Sie den Handlauf nach Fingerabdrücken ab. Und das hoch bis zur Balustrade«, befahl Kilian.
Den EDlern war anzusehen, dass sie gar nicht darüber erfreut waren, Order von einem zu bekommen, den sie nicht kannten.
Heinlein ging vorsichtig um die Leiche herum und fragte Kilian: »Ist Ihnen was Besonderes aufgefallen?«
»Nach dem Todeszeitpunkt zu schließen, Art der Bekleidung und Lage des Körpers, scheidet wohl ein zufälliger Sturz von der Treppe aus.«
Heinlein überlegte und nickte schließlich zustimmend.
»Bleibt also die Frage, von wo er gestürzt ist?« Heinlein nickte abermals.
»Wenn er von da oben gefallen ist, dann frage ich mich, a) was hat er dort um die späte Zeit gesucht, b) wieso ist er gestürzt, und c) war der Sturz die Todesursache? Oder, Herr Kollege?«
»Ja, klar. Logisch«, sagte Heinlein schnell, »ich hätt’s nicht besser ausdrücken können.«
»Dann sind wir uns ja einig.«
Kilian zog die Handschuhe aus und ging die Treppe hoch. Pelligrini beobachtete aus angemessener Entfernung die Arbeiten am Tatort.
»Nun, commissario«, sagte sie, »Sie haben Ihre Arbeit beendet, und ich kann mit meiner weitermachen?«
»Dauert nicht mehr lange. Wobei …«
»Wobei?«, fragte Pelligrini.
»Nichts. Es ist nur ungewöhnlich, dass ein Tatort so schnell freigegeben wird. Aber in Anbetracht der Feierlichkeiten …«
»Sì, wir müssen uns sputen und die verlorene Zeit aufholen.«
»Dottoressa …«, setzte Kilian an, doch Pelligrini unterbrach:
»Giovanna. Nennen Sie mich einfach Giovanna.«
»Gut. Giovanna. Wo kann ich Sie erreichen, wenn ich noch eine Frage an Sie habe?«
»Hotel Maritimo. Zimmer 306. Wobei … die Zeit wird knapp. Ich werde mehr hier als im Hotel sein.«
Kilian überlegte. Hotel Maritimo? Wo sollte das denn sein?
»Im Maritim-Hotel an der Friedensbrücke«, sagte Heinlein.
»Ah ja«, antwortete Kilian und reichte ihr die Hand, um sich zu verabschieden. »Apropos. Ein sehr schönes Kostüm, das Sie tragen. Chanel?«
»Fendi«, lautete Giovannas Antwort.
»Sehr geschmackvoll.«
Kilian wandte sich ab und ging mit Heinlein die Treppe hinunter. Bei Karl machte er Halt.
»Wann kann ich die ersten Ergebnisse haben?«, fragte er.
»Am späten Nachmittag. Unser Kunde kommt gleich dran.« Er schloss seinen Koffer und gab die Leiche für den
Transport frei. Zwei Helfer fassten sie bei Händen und Füßen und legten sie auf eine Bahre. In den Metallkasten passte sie nicht, da die Latte dem Wachmann noch immer in der Brust steckte und sie auch dort bleiben musste.
»Wer
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