Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Felsen mit tosender Brandung und einem kleinen Fischerdorf war die Kulisse für eine Postkarte, die mit Reißzwecken am Poster selbst festgemacht war. Sie schien von ebendort versandt worden zu sein. Kilian erkannte die gleichen Felsen.
Kilians Schreibtisch war erst kürzlich aufgeräumt und gesäubert worden. Kein Fingerabdruck oder der Rand einer Kaffeetasse spiegelte sich auf der Oberfläche. Vor ihm stand ein Telefon, Bürowerkzeug wie Tacker, Schere, Locher, Heftklammern, fein säuberlich an der Kante zu Heinleins Schreibtisch aufgereiht. Die Schubladen des Rolltisches standen ein wenig offen. Kilian erspähte keinen persönlichen Gegenstand, der auf einen Vorbesitzer hätte schließen lassen.
Auf der Gegenseite, bei Heinlein, sah es schon anders aus. Zwei Türme Akten stapelten sich an der Wand. Das Einzige, was sie in ihrer Höhe zu halten schien, war zum einen die
Wand und zum anderen Bücher, die Heinlein davor gestellt hatte, damit sie nicht nach vorne kippten. Entlang der Demarkationslinie blickte Kilian auf den Rücken zweier Bilderrahmen, auf das unvermeidliche Gehänge von acht kleinen Stahlkugeln an Plastikfäden, die an einem verchromten Bügel auf den Anstoß warteten, und auf einen Blumentopf, aus dem sich etwas Grünes seinen Weg bahnte.
»Sie mögen Frankreich?«, fragte Kilian, um die Pause zu überbrücken.
Er ließ sich dabei gegen die Lehne seines Stuhls fallen, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und gaukelte Gemütlichkeit und Wohlbefinden vor.
»Oui«, antwortete Heinlein. »La France est mon plaisir.« Heinlein bemühte sich um einen französischen Akzent, der ihm ganz gut gelang.
»Sie sprechen auch noch französisch?«, heuchelte Kilian Interesse.
»Un petit pew«, kam die stolze, leicht verlegene Antwort. Dann besann er sich. »Ihr Vorgänger, Kriminalhauptkommissar Schömig, saß da«, sagte Heinlein wehmütig.
»Sind Sie miteinander klargekommen?«
»Er hat mich von der PI Land in die Kripo geholt.«
»Ich glaub, ich hab ihn mal kennen gelernt.«
»Und? Wie fanden Sie ihn?«
Kilian bemerkte die leichte Veränderung in Heinleins Stimme, die zwar interessiert klang, aber auch eine positive Antwort erwartete.
»Nur kurz. Ein Hallo, wie geht’s? Ich hatte den Eindruck, dass er bei den Kollegen beliebt war.«
»Einige haben ihm viel zu verdanken.«
Kilian dachte an den Mann, der die Frau auf der Straße geküsst hatte. »Gibt es eigentlich noch den …?«
Er spielte den Ahnungslosen und machte Anstalten, als suche er den richtigen Namen. »Wie hieß er noch? Papa Hoffmann? Genau, Hoffmann. Ich weiß gar nicht mehr, welchen Dienstgrad er damals hatte …«
»Ist vor vier Jahren in Pension gegangen. Seine Frau hatte ihn verlassen.«
Kilian machte auf betroffen. »Hatte er nicht auch einen Sohn?«
»Und was für einen. Schönes Früchtchen. Er hat sich mit den Russen nach dem Mauerfall zusammengetan und geklaute Autos nach Polen verdrückt. Hoffmann wollte schon kündigen, aber nachdem der Sohn mitten in der Nacht, bevor wir zugreifen wollten, verschwunden war, hat er’s bleiben lassen. Seitdem gibt’s nur noch Gerüchte über ihn.«
»Und Hoffmann selber? Hat er wieder geheiratet?«
»Hoffmann? Nein. Der fühlt sich pudelwohl. Geht Kaffee trinken mit den Damen und schwingt das Tanzbein im Ludwig.«
»Das Ludwig? Gibt’s das immer noch?«
»Mehr denn je. Mittlerweile spielen sie dort sogar Pop. Ein Bett im Kornfeld auf dem Rhythmuscomputer. Ich kenn mich mit dem Zeugs nicht so aus.«
Unvermittelt ging die Tür zum Nebenzimmer auf, und Sabine, Heinleins Sekretärin, stand in der Tür. Als sie Kilian sah, glaubte sie, in eine Vernehmung geplatzt zu sein.
»Oh, ’tschuldigung«, sagte sie und wollte die Tür wieder schließen.
»Komm rein«, ermunterte sie Heinlein. »Darf ich vorstellen?«
Er sprang auf und führte sie zu Kilian. »Sabine Anschütz, unsere Sekretärin.«
»Assistentin«, verbesserte sie ihn.
»Unsere Assistentin und gute Fee«, sagte Heinlein beschwichtigend. »Und hier haben wir den neuen Leiter des K1, Kriminalhauptkommissar Kilian.«
Sabine schaute sich Kilian von Kopf bis Fuß an und dachte, dass Heinlein sie auf den Arm nehmen wollte. Er neigte zuweilen zu Scherzen. Manchmal meinte er es aber auch ernst. Sie blieb vorsichtig. Kilian erkannte ihr Misstrauen, stand auf und reichte ihr die Hand.
»Keine Sorge«, sagte er, »ich schau nicht immer so aus. Ist so was wie ’ne Tarnung.«
»FBI und CIA«, kicherte Heinlein hinter
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