Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
beginnende Einsetzen der Starre an den Gliedmaßnahmen anzusehen.
Eine rund sechs Zentimeter breite, drei Zentimeter dicke und einen Meter lange Holzlatte ist an der rechten Seite unterhalb des Rippenbogens eingedrungen, verläuft quer durch den Brustraum und tritt auf Höhe der linken Achselhöhle wieder nach außen. Des Weiteren befinden sich auf der rechten Halsseite vier schlitzförmige Stichverletzungen, die der erste Obduzent bei der Erstbesichtigung am Tatort als von einer Holzlatte stammende Nägel bezeichnet hat.«
Karl schaute Ernst bei seiner Arbeit bewundernd über die Schulter. Er hielt ihn für einen wahren Meister, was das Zerlegen anging. Solange Karl auf die Öffnung warten musste, ging er Ernst gerne zur Hand. Er zog die Fettschicht mit beiden Händen kraftvoll zur Seite, während das Skalpell unter ihr wütete. Nach wenigen Minuten konnte Karl die Fettlappen zur Seite aufklappen, als hätte er dem Wachmann lediglich einen Mantel ausgezogen. Geronnenes, schwarzes Blut und dunkelrote Fleischlappen traten unter dem Lampenschirm hervor. Heinlein musste wegschauen, bevor er den Boden unter den Füßen verlor. Dabei war dies nur der Anfang.
»Na, was haben wir denn da?«, fragte Karl und drückte mit der Fingerspitze auf einen mit Blut gefüllten Hohlraum, der sich durch den Aufprall an der rechten Seite gebildet hatte.
Zäh quälte sich halb geronnenes Blut aus dem Beutel und lief hinab in das Stahlbecken, auf dem die Leiche lag.
Pia lief um den Tisch herum zu Karl, schaute und sprach den Fund aufs Band.
»Komm rüber, Schorsch, und schau dir das mal an«, sagte Karl und winkte ihn herbei.
»Lass mir mei Ruh«, antwortete Heinlein voller Abscheu und hielt sich die Hand an Stirn und Nasenrücken, damit er nichts sehen musste.
Jedes Mal forderte ihn Karl auf, sich seine Arbeit näher zu betrachten, doch Heinlein war dafür nicht zu gewinnen. Er schätzte Karls Fähigkeiten, aber näher als bis auf drei Schritte wollte er mit offenen Leichen nichts zu tun haben.
»Jetzt stell dich nicht so an und komm her«, wiederholte Karl.
»Mach einfach weiter«, schnauzte Heinlein ihn an.
»Sind wir heut wieder ein bisschen ziepfert?«, fragte Karl. Ernst kaute auf seinem Zahnstocher, schaute zu Heinlein rüber und brachte nur ein mitleidiges Lächeln für ihn auf.
»Lass ihn in Ruh, Karl. Ich hab heut noch nichts gegessen. Und die Kantine macht um 14 Uhr dicht«, sagte Pia und drängte ihn, weiterzumachen.
»Was gibt’s?«, wollte Karl wissen.
»Lüngerl, glaub ich«, sagte Pia.
»Des war gestern«, sagte Ernst. »Heut gibt’s gefüllten Schweinsbauch.«
»Jetzt hörts endlich auf«, fuhr Heinlein dazwischen, der nichts Schmackhaftes an der Unterhaltung finden konnte.
Alle drei schauten ihn verwundert an und fragten sich, was er schon wieder hatte.
»Schorsch«, beruhigte ihn Pia, »wieso setzt du dich nicht raus auf die Bank? Wir erzählen dir später alles.«
Heinlein wusste, dass er das nicht durfte. Es brauchte nur ein Staatsanwalt vorbeikommen, und schon stünde er vor Oberhammer. Dann schon lieber eine Sektion. Er winkte ab. Ernst nahm die Zange zur Hand, die aussah wie eine Geflügelschere, setzte sie am unteren Rippenbogen an, drückte sie durch das Fleisch und begann Rippe für Rippe mit einem lauten Klack zu zerteilen. Es klang, als würde eine Walnuss in der Hand zerdrückt, nur ein wenig dumpfer. Das machte er kreisrund über den Oberkörper. Nachdem er die letzte Rippe durchtrennt hatte, griff er in den soeben geschnittenen Grat und nahm die vordere Brustwand ab, wie man einen Deckel vom Eimer nimmt. Darunter lagen nun die inneren Organe frei. Die Holzlatte hatte beide Lungenflügel durchbohrt. Ernst schnitt sie an den Lungen und an der Seite frei, zog sie heraus und legte sie neben die Leiche in das Stahlbecken. Schon machte sich Karl bereit, denn jetzt begann seine Arbeit.
Doch zuvor noch trennte Ernst mit einer Schere die Luft- und Speiseröhre mitsamt den Lungenflügeln ab. Dann nahm er das Skalpell zur Hand und schnitt das Herz heraus, es war ungefähr so groß wie eine kleine Honigmelone. Er reichte es Karl, der hinüber zur Waage lief und es in eine Schale legte. Der Zeiger schlug auf 430 Gramm aus. Pia notierte den Wert auf einer Wandtafel und sprach das Ergebnis auf Band. Inzwischen hatte Karl das Herz auf einen rund einen Meter großen Tisch gelegt, der neben die Leiche gerollt wurde und somit gut ausgeleuchtet war. Er nahm ein Messer mit einer rund dreißig Zentimeter
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