Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
meine freie Entscheidung, hierher zu kommen. Ehrlich gesagt, hab ich kein anderes Ziel vor Augen, als schnellstens zu verschwinden.«
»Was treibt Sie denn weg?«
»Ich habe schon die ersten zwanzig Jahre meines Lebens in diesem Kaff verschwendet. Und ich habe mir geschworen, dass ich keinen einzigen Tag mehr anhängen werde.«
»Aber ich weiß immer noch nicht, was Sie wegtreibt. Würzburg ist doch genauso gut wie jede andere Stadt.«
»In welchen anderen Städten waren Sie denn bisher?«
»Was hat das mit meiner Frage zu tun?«
»Hören Sie, Herr Kollege. Ich habe eine ganze Reihe anderer Städte gesehen, andere Menschen getroffen und eine andere Arbeit gemacht als diese Kinderspielchen hier. Würzburg ist ein Kaff. Das Beste, was ich darüber sagen kann, ist, dass ich es geschafft hatte wegzukommen.«
»Ich glaube, Sie haben ein Problem.«
»Richtig. Je länger ich bleibe, desto größer wird es.«
Die letzten Schritte zum Wagen gingen sie schweigend nebeneinander her.
Kilian war sauer. Was dachte sich dieser Provinzbulle eigentlich? Sie haben ein Problem. Der sollte lieber mal über sein Leben nachdenken, bevor er sich über seines mokierte.
So ein aufgeblasener Fatzke, dachte sich Heinlein. Was glaubte er denn, wer er war? Ich habe andere Städte gesehen. Ich habe andere Arbeit gemacht als diese Kinderspielchen. Vielleicht war es doch besser, wenn dieser Kilian so schnell wie möglich wieder verschwand.
Sie stiegen in den Wagen ein und fuhren in die Stadt zurück.
»Wohin geht’s jetzt?«, fragte Heinlein.
Kilian schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zwei.
»Wo ist dieses Hotel Maritimo?«, fragte er Heinlein.
»Maritim. Liegt auf dem Weg.«
»Gut, dann liefern Sie mich dort ab.«
Als er Kilian am Eingang zum Maritim aussteigen ließ, kam eine Meldung von Sabine herein.
»Heinlein hier. Was gibt’s?«
»Pia hat angerufen. Der Splitter aus der Halswunde stammt von der Feder irgendeines Paradiesvogels.«
»Paradiesvogel?«, fragten Heinlein und Kilian beinahe gleichzeitig.
»Na ja, so was aus dem Urwald halt. Sie hat mir was reingefaxt. Der Vogel hat lange weiße Federn. Der genaue Ausdruck von dem Vieh ist Astrapia mayeri. Könnt ihr damit was anfangen?«
»Hab verstanden, wir kümmern uns drum. Und sag Pia noch einen schönen Gruß und besten Dank«, sagte Heinlein.
Er legte den Hörer zurück und wartete auf eine Reaktion von Kilian.
»Am besten, Sie checken alle Vogelzüchter in der Region, ob die schon mal was von diesem Vogel gehört haben und wer die Federn in Umlauf bringt. Wenn was ist, erreichen Sie mich hier. Also, besten Dank fürs Bringen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug Kilian die Autotür zu und verschwand im Hotel.
»Am besten, Sie checken alle Vogelzüchter … blabla«, raunzte Heinlein und fuhr los.
9
Kilian steckte sich einen Zigarillo an, während er vom Fenster hinunter auf den Main blickte. Das Passagierschiff Alte Liebe nahm gerade eine Ladung Touristen in seinen Bauch auf. Sie verteilten sich auf dem Oberdeck und verteidigten die Sitzplätze gegen fremde Einvernahme. Ein paar Meter weiter legte ein anderes Passagierschiff an, das den Schriftzug Mainschwalbe trug. Der Busfahrer erwartete bereits am Mainkai seine Fahrgäste. Er half, den schmalen Steg aufs Boot zu legen, und wies den vorwiegend älteren Ausflüglern den Weg zum Bus. Einige von ihnen wankten beträchtlich, was andere zu schallendem Gelächter und einem Trinklied animierte.
Kilian nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer der Rezeption.
»Nein. Frau Pelligrini ist noch nicht im Haus«, wurde ihm versichert.
Er legte den Hörer zurück auf die Gabel und nahm einen Brandy aus der Zimmerbar. In einem Schluck hatte er das kleine Fläschlein geleert. Er ließ sich in den Sessel fallen und schaltete den Fernseher an. Die Programme gaben um diese Stunde nicht viel her. Eine Talkshow reihte sich an die andere, und wenn nicht gerade eine Endvierzigerin in Anwesenheit des Ehemannes über ihre zwei Liebhaber plapperte, versprach die Werbewelt Erfüllung der Sehnsüchte.
Kilian bereitete dem Treiben mit der Fernbedienung ein Ende und schnappte sich erneut das Telefon. Er musste sie jetzt anrufen. Sie wartete darauf. Doch was sollte er ihr sagen? Tut mir Leid, Patrizia, irgendwann musste es ja passieren? Oder: Du wusstest, dass unser Job gefährlich ist? Nein, das waren alles Ausreden.
Er holte sich eine Amtsleitung und tippte eine Handynummer ein. Es dauerte lange, bis die Nummer nach Italien
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