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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Verletzungen zu sehen. Das Fell, ursprünglich wohl von einem stumpfen Gelb, war filzig und schmutzverkrustet.
    »Soviel ich weiß, ist er aus diesem Schuppen hier nie herausgekommen«, sagte mein Begleiter. »Er ist noch jung – etwa ein Jahr alt. Irgend jemand hat das Tier wimmern gehört, sonst hätte man es nie erfahren.«
    Ich mußte gegen eine plötzliche Übelkeit ankämpfen. Es war nicht der Geruch, es war der Gedanke an dieses geduldige Tier, das seit einem Jahr hungrig und verlassen hier in Dunkelheit und Schmutz hockte. Ich blickte wieder auf den Hund und sah in seinen Augen nur ruhiges Vertrauen.
    »Nun, Mr. Halliday, wer auch immer dafür verantwortlich ist, ich hoffe, Sie werden ihn zur Rechenschaft ziehen«, sagte ich.
    »Da ist leider nicht viel zu machen«, brummte er. »Der Besitzer kann verminderte Zurechnungsfähigkeit in Anspruch nehmen. Ein richtiger Schwachsinniger. Lebt mit seiner alten Mutter zusammen, die kaum weiß, was vor sich geht. Ich habe mir den Burschen angesehen; anscheinend hat er dem Tier hin und wieder einen Bissen hingeworfen, wenn ihm gerade danach war, aber mehr auch nicht. Man wird ihm eine Geldstrafe aufbrummen und ihm verbieten, je wieder ein Tier zu halten – aber das ist auch alles.«
    »Ich verstehe.« Ich streichelte den Kopf des Hundes. Sofort legte er mir die Pfote aufs Handgelenk. Eine rührende Würde lag in der Art, wie er aufrecht dasaß und mich mit seinen ruhigen Augen freundlich und furchtlos ansah.
    »Machen Sie doch bitte die Tür einmal weit auf, damit ich ihn besser sehen kann.«
    In dem hellen Tageslicht, das jetzt hereindrang, konnte ich ihn gründlicher untersuchen. Tadellose Zähne, gutproportionierte Gliedmaßen mit einer gelben Haarfranse. Ich hielt das Stethoskop an seine Brust, und während ich auf das langsame, kräftige Pochen des Herzens lauschte, legte der Hund abermals eine Pfote auf meine Hand.
    Ich wandte mich an Halliday. »Sie werden es nicht glauben, in diesem Hund, der ja wirklich nur aus Haut und Knochen besteht, steckt ein gesunder goldfarbener Retriever.«
    Hinter dem breiten Rücken Mr. Hallidays bemerkte ich plötzlich eine zweite Gestalt im Türrahmen. Mrs. Donovans Neugier hatte also die Oberhand gewonnen. Ich tat, als hätte ich sie nicht gesehen.
    »Wissen Sie, was dieser Hund als erstes braucht? Eine Wäsche mit einem guten Shampoo, damit sein verfilztes Fell wieder sauber und glänzend wird.«
    »Was?« fragte Halliday verständnislos.
    »Ja. Und als zweites muß man eine richtige Kur mit ein paar wirklich guten Stärkungsmitteln mit ihm machen.«
    »Das habe ich noch nie gehört.« Mr. Halliday blickte verwirrt drein.
    »Das ist die einzige Hoffnung für ihn«, sagte ich. »Aber wo findet man so etwas? Wirklich gute Pflege, meine ich.« Ich seufzte und richtete mich auf. »Ich fürchte, es hilft alles nichts, und es ist wohl das beste, wenn ich ihn sofort einschläfere. Ich geh nur meine Sachen aus dem Wagen holen.«
    Als ich zurückkam, beugte sich Mrs. Donovan bereits über den Hund und untersuchte ihn trotz der schwachen Einwendungen Mr. Hallidays.
    »Da, sehen Sie! Er heißt Roy«, rief sie erregt und deutete auf das Halsband, auf dem der Name eingeritzt war. Sie blickte lächelnd zu mir auf. »Klingt ein bißchen wie Rex, nicht wahr?«
    »Ja, Sie haben recht. Jetzt, wo Sie’s sagen, Mrs. Donovan, fällt es mir auch auf.«
    Sie stand, offensichtlich von einer tiefen Gemütsbewegung gepackt, einen Augenblick schweigend da, dann platzte sie heraus:
    »Kann ich ihn haben? Ich bringe ihn wieder auf die Beine, ganz bestimmt. Ach bitte, bitte, geben Sie ihn mir!«
    »Nun, ich weiß nicht recht«, sagte ich. »Das ist Mr. Hallidays Sache. Er muß die Erlaubnis geben.«
    Halliday sah sie zweifelnd an, murmelte ein »Entschuldigen Sie mich, Madam« und zog mich beiseite. Wir gingen aus dem Schuppen hinaus und blieben ein paar Meter weiter unter einem Baum stehen.
    »Mr. Herriot«, sagte er leise, »ich kann das Tier nicht einfach so mir nichts dir nichts irgend jemandem überlassen. Es hat es schon einmal schlecht getroffen, und diese Frau macht nicht den Eindruck, als ob sie...«
    Ich unterbrach ihn. »In dieser Hinsicht brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie mag zwar etwas schrullig sein, aber heute hat der Himmel sie uns gesandt. Wenn irgend jemand weit und breit diesem Hund ein gutes Leben bereiten kann, dann sie.«
    Halliday war nach wie vor skeptisch. »Ganz verstanden habe ich die Sache noch immer nicht. Was

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