Tierarzt
kleine Tier, um es behutsam aufzuheben, aber noch während ich das versuchte, hörte die Atmung auf, und seine Augen brachen.
Mrs. Donovan kniete neben ihm nieder und streichelte sanft das rauhe Fell. »Er ist tot, nicht wahr?« flüsterte sie schließlich.
»Ja«, sagte ich.
Ich nahm ihren Arm, führte sie zum Wagen und half ihr beim Einsteigen. »Setzen Sie sich«, sagte ich. »Ich kümmere mich darum und bringe Sie dann nach Hause.«
Ich wickelte den Hund in meinen Overall und legte ihn in den Kofferraum. Dann fuhr ich los. Erst als wir vor ihrem Haus hielten, fing Mrs. Donovan an zu weinen. Ich wartete schweigend, bis sie sich wieder gefaßt hatte.
»Armer kleiner Rex«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne ihn anfangen werde. Wir haben ja doch ein langes Stück Weg zusammen zurückgelegt.«
»Ja, das ist wahr. Er hat ein herrliches Leben gehabt, Mrs. Donovan. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf – schaffen Sie sich wieder einen Hund an. Sie kommen sich sonst so verloren vor.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Dafür hat mir Rex viel zuviel bedeutet. Ich brächte es nicht fertig, einen andern seinen Platz einnehmen zu lassen.«
»Das kann ich gut verstehen. Und ich möchte bestimmt nicht gefühllos erscheinen – aber ich glaube doch, daß es ein guter Ratschlag ist.«
»Nein, Mr. Herriot, ich will keinen Hund mehr haben. Rex war jahrelang mein treuer Freund, und ich werde ihn nie vergessen. Er soll der letzte Hund bleiben, den ich hatte.«
Ich sah Mrs. Donovan danach noch oft auf der Straße, und sie wirkte unverändert rüstig, machte aber ohne den kleinen Hund an der Leine einen merkwürdig unvollständigen Eindruck. Aber es vergingen mehrere Wochen, ehe ich ihr persönlich wieder begegnete.
Es war an dem Nachmittag, als Mr. Halliday vom Tierschutzverein mich anrief.
»Ich wollte Sie bitten, sich einen Hund anzusehen, Mr. Herriot«, sagte er. »Es handelt sich um einen ziemlich schlimmen Fall von Tierquälerei.«
»Einverstanden. Wann und wo sollen wir uns treffen?«
Er nannte mir den Namen einer Zeile von alten Backsteinhäusern unten am Fluß und sagte, daß er in einer halben Stunde dort sein werde.
Halliday wartete auf mich.
»Er ist dort drinnen«, sagte er und steuerte auf eine Tür in der breiten, zerbröckelnden Mauer zu. Ein paar Leute lungerten neugierig herum, und ich war nicht weiter überrascht, als ich Mrs. Donovans braunes Zwergengesicht entdeckte. Es wäre ja auch seltsam gewesen, wenn sie sich ein Ereignis wie dieses hätte entgehen lassen, dachte ich.
Wir gingen durch die Tür und gelangten in einen langgestreckten Garten. Mir war schon oft aufgefallen, daß es in Darrowby hinter jedem Haus, und sei es noch so ärmlich, ein schmales Stück Land gab, wo die Leute für gewöhnlich ein Schwein und ein paar Hühner hielten und man oft außer Gemüsebeeten hübsche Blumenrabatten antraf.
Doch in diesem Garten hier herrschte eine trostlose Öde.
Halliday ging auf einen baufälligen, fensterlosen Holzschuppen zu. Er holte einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete das Vorhängeschloß und zog die Tür ein Stück weit auf. In der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen: mehrere zerbrochene Gartengeräte standen herum, eine alte Mangel, unzählige Blumentöpfe und angebrochene Farbbüchsen. Und ganz hinten an der Wand saß regungslos ein Hund.
Als ich zu ihm hinging, sah ich, daß es ein großes Tier war, das aufrecht dasaß, das Halsband mit einer Kette an einem Ring in der Wand befestigt. Ich hatte schon wiederholt magere Hunde gesehen, aber eine Auszehrung dieses Ausmaßes war mir bisher nur auf Abbildungen in meinen Anatomiebüchern begegnet; nirgendwo sonst noch hatte ich mit derart erschreckender Deutlichkeit die Knochen von Becken, Gesicht und Brustkasten hervortreten sehen. Eine tiefe Aushöhlung im Erdboden zeigte, wo er gelegen, sich umherbewegt, ja sozusagen lange Zeit hindurch gelebt hatte.
Der Anblick des Tieres erschütterte mich so tief, daß ich alles übrige – die schmutzigen Fetzen Sackleinwand, die Schüssel mit abgestandenem Wasser – nur halbwegs in mich aufnahm.
»Sehen Sie sich sein Hinterteil an«, murmelte Halliday.
Ich hob den Hund behutsam aus seiner sitzenden Stellung und merkte, daß der Gestank, der mir schon beim Hereinkommen aufgefallen war, nicht allein von den Kothaufen herrührte. Das Gesäß war über und über mit brandig gewordenen Druckwunden bedeckt. Auch längs des Brustbeins und der Rippen waren solche
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