Tierarzt
nicht bewirtschaften, zumal Prospect House ohnehin keine reichen Erträge abwarf. Die Nachbarn schüttelten bekümmert den Kopf beim Anblick der sumpfigen Weideflächen unterhalb des Hauses oder der felsigen Ausbisse und vielen Steine auf den weiter höher gelegenen Feldern. Nein, es war kein fruchtbarer Boden, und eine Frau würde das niemals schaffen.
Alle waren dieser Meinung – bis auf Mrs. Dalby selbst. Sie war eine kleine, zarte Person, aber sie hatte einen stählernen Willen. Sie war nicht das, was man hübsch nennen würde: das Gesicht war klein und rot, die Haut rissig, doch in den winzigen, sehr dunklen Augen lag ein Ausdruck von Güte und stiller Würde. Und, wie gesagt, von großer Willenskraft.
Billy starb im Frühling, und während alle Welt darauf wartete, daß Mrs. Dalby die für einen Verkauf notwendigen Vorkehrungen traf, machte sie sich unbeirrt daran, die Farm weiterhin zu bewirtschaften. Sie tat es mit Hilfe eines kräftigen Landarbeiters namens Charlie, der Billy gelegentlich geholfen hatte, jetzt aber regelmäßig kam. Im Laufe des Sommers wurde ich ein paarmal nach Prospect House gerufen – es handelte sich jedesmal um irgendwelche harmlosen Unpäßlichkeiten, von denen das Jungvieh befallen war –, und ich stellte fest, daß es Mrs. Dalby gelang, den Betrieb in Gang zu halten; sie wirkte ein bißchen erschöpft, da sie außer der Sorge für Haushalt und Kinder jetzt auch noch auf den Feldern und im Stall mitarbeitete, aber sie schlug sich durch.
Es war Mitte September, als Mrs. Dalby mich bat, nach einigem Jungvieh – Rindern von etwa neun Monaten – zu sehen, die husteten.
»Als wir sie im Mai auf die Weide trieben, waren sie in bestem Zustand«, sagte sie, während wir über die Wiese auf das Gatter zugingen. »Aber in den letzten zwei Wochen sind sie sehr heruntergekommen.«
Ich hielt das Gatter auf, wir gingen hindurch, und mit jedem Schritt, den ich mich den Tieren näherte, wurde mir unbehaglicher zumute. Selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, daß irgend etwas nicht stimmte: die Tiere wanderten nicht wie sonst umher oder grasten, sondern standen auffallend unbeweglich da. Es waren rund dreißig, und eine ganze Anzahl von ihnen hielt den Hals vorgestreckt, als ob es ihnen schwerfiele, Luft zu bekommen. Und die sanfte Spätsommerbrise trug uns das Geräusch von bellendem Husten entgegen.
Als wir schließlich die Herde erreichten, verwandelte sich mein Unbehagen in eiskalten Schrecken. Es schien die Rinder überhaupt nicht zu kümmern, daß ich zwischen ihnen umherging, und ich mußte laute Schreie ausstoßen und wie wild mit den Armen fuchteln, damit sie sich bewegten; und kaum hatte ich sie aufgescheucht, da fing bei allen dieser trockene Husten an. Es war nicht ein gelegentliches Bellen, sondern wie im Chor brachen alle in diesen fürchterlichen Husten aus. Und nicht nur das: die meisten von ihnen standen breitbeinig da, keuchend rangen sie nach Luft. Einige hatten Schaum vor dem Maul, bei anderen wurde jeder Atemzug von einem qualvollen Stöhnen begleitet.
Ich wandte mich wie im Traum an Mrs. Dalby.
»Sie haben trockenen Husten«, hörte ich mich sagen, aber meine Worte stellten eine völlig unzulängliche Beschreibung der Tragödie dar, die sich vor meinen Augen abspielte, denn es handelte sich um einen übergangenen Husten, mit dem weiß Gott nicht zu spaßen war.
»Trockenen Husten?« fragte die kleine Frau lebhaft. »Aber woher denn bloß?«
Ich sah sie einen Augenblick an, ehe ich antwortete. Ich bemühte mich, meine Stimme ganz normal klingen zu lassen.
»Durch schmarotzende, winzig kleine Fadenwürmer, die in die Bronchien eindringen und Erkrankungen der tiefen Luftwege und der Lunge verursachen – offiziell daher auch Lungenwurmseuche genannt. Die Larven klettern an den Grashalmen empor, und beim Weiden nimmt das Vieh sie auf. Manche Wiesen sind stark infiziert.« Ich brach ab. Dies war nicht der rechte Augenblick für einen wissenschaftlichen Vortrag.
Viel lieber hätte ich gefragt, warum um Himmels willen man mich nicht schon längst gerufen hatte, denn jetzt konnte von einem Bronchialkatarrh, einem raschen Krankheitsverlauf, nicht mehr die Rede sein; vielmehr waren Lunge und Brustfell entzündet. Es war nicht so, daß lediglich ein paar dieser haarfeinen Würmer die Bronchien reizten, sondern sie hatten sich inzwischen ungeheuer vermehrt und das Lungengewebe befallen. Ich hatte viele junge Rinder, die an dieser Krankheit litten, obduziert und wußte,
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