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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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wie schlimm die Sache war.
    Ich holte tief Luft. »Die Tiere sind ziemlich übel dran, Mrs. Dalby. Ein leichter Wurmbefall läßt sich im allgemeinen schnell heilen, indem man das Vieh sofort von der infizierten Weide wegbringt, doch hier ist die Krankheit sehr viel weiter fortgeschritten. Sie sehen es ja selbst – sie sind nur noch Haut und Knochen. Hätten Sie mich doch nur früher kommen lassen.«
    Sie sah mich besorgt an, und ich beschloß, nicht weiter auf diesem Punkt herumzureiten. Ich wollte ihr nicht sagen, was die Nachbarn schon die ganze Zeit sagten: daß sie ihre Unerfahrenheit früher oder später noch einmal würde büßen müssen. Hätte Billy noch gelebt, wäre das Jungvieh wahrscheinlich niemals auf dieses sumpfige Weideland getrieben worden, oder er hätte es bei den ersten Krankheitsanzeichen in den Stall gebracht. In einer Situation wie dieser war Charlie keine große Hilfe; er war ein lieber, gutwilliger Kerl, auf den aber die in Yorkshire übliche Redensart zutraf: ›Kräftige Muskeln, kleines Gehirn‹. Ohne Sachkenntnis ging es in der Landwirtschaft nicht, doch Billy, der planmäßig vorgegangen, der ein erfahrener Viehzüchter und Landwirt war und seine Farm in- und auswendig kannte, war eben nicht mehr da.
    Mrs. Dalby straffte sich.
    »Nun, was können wir dagegen tun, Mr. Herriot?«
    Die ehrliche Antwort in der damaligen Zeit wäre gewesen: »Medizinisch nicht das geringste.« Aber das sagte ich nicht.
    »Wir müssen sie sofort von der Weide nehmen. Sie dürfen auf keinen Fall weiter von diesem Gras fressen. Ist Charlie irgendwo in der Nähe, um uns zu helfen?«
    »Ja, er repariert da drüben auf dem Feld eine Mauer. Ich hole ihn.« Mit raschen Schritten eilte sie davon. Nur wenige Minuten später kam sie zusammen mit Charlie zurück.
    »Dacht mir schon, daß es eine Art Lungenfäule ist«, sagte er freundlich und setzte dann mit einem Anflug von Eifer hinzu: »Bekommen sie eine Halsspritze?«
    »Ja... ja... aber zuerst müssen wir sie einmal zum Hof hinauf schaffen.«
    Als uns das schließlich gelungen war, stand ich etwas mutlos inmitten der Rinderherde. Der kurze Weg hatte die Tiere ungeheuer angestrengt, und es ging ihnen sehr schlecht. Mit heraushängender Zunge rangen sie keuchend nach Atem, husteten und stöhnten.
    Ich holte die Arznei aus dem Wagen, und während Charlie den Kopf der Tiere hielt und die kleine Mrs. Dalby sich an den Schwanz klammerte, begann ich mit der Arbeit. Die Flüssigkeit wurde direkt in die Atemwege injiziert, und jedes Rind reagierte darauf mit einem Reflexhusten, der die Luft ringsum mit dem Geruch des Medikaments erfüllte.
    »Ja, man riecht’s, Sir«, sagte Charlie mit tiefer Befriedigung. »Man merkt, daß die Arznei gleich an die richtige Stelle kommt.«
    Die meisten Bauern machten Bemerkungen dieser Art und hatten großes Vertrauen zu der Arznei, einem Gemisch aus Chloroform, Terpentin und Kreosot. Es hieß, das Chloroform betäube die Würmer, das Terpentin töte sie und durch das Kreosot ließen sie sich dann leicht aushusten. Ich glaube nicht ein Wort davon. Daß die Tiere sich später erholten, war meiner Meinung nach nur darauf zurückzuführen, daß man sie von dem infizierten Weideland entfernt hatte.
    Aber mir war klar, daß ich jedem Tier eine Spritze geben mußte, insgesamt zweiunddreißig an der Zahl, und die kleine Mrs. Dalby half tapfer mit, sie einzufangen, hängte sich ohne viel Erfolg an den Hals der Tiere, packte sie am Schwanz, drängte sie gegen die Mauer. Und als der achtjährige William, der älteste Sohn, von der Schule heimkam, stürzte er sich an der Seite seiner Mutter ebenfalls in den Kampf.
    Mein wiederholtes »Vorsicht, Mrs. Dalby!« oder Charlies mürrisch-mahnendes »Geben Sie acht, Missis, sonst kriegen Sie einen Tritt gegen’s Bein!« blieb ohne Wirkung. Sowohl sie als auch der kleine Junge trugen blaue Flecke davon, aber sie ließen sich dadurch nicht im geringsten entmutigen.
    Als wir fertig waren, wandte sich die kleine Frau mir zu; ihr Gesicht war noch stärker gerötet als sonst. Mühsam atmend blickte sie mich an. »Können wir sonst noch irgend etwas tun, Mr. Herriot?«
    »Ja, das können Sie, Mrs. Dalby.« Und was ich ihr jetzt anriet, war nach meiner Ansicht das einzige, was überhaupt etwas half. »Erstens lasse ich Ihnen eine Medizin gegen die Würmer da, und zwar gegen die im Magen. Gegen die läßt sich am ehesten etwas unternehmen. Charlie muß jedem Rind eine bestimmte Dosis einflößen. Und zweitens

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