Tierarzt
müssen Sie den Tieren das denkbar beste Futter geben – gutes Heu und proteinhaltigen Futterkuchen.«
Ihre Augen weiteten sich. »Futterkuchen? Der ist sehr teuer. Und Heu...«
Ich wußte, was sie dachte. Das kostbare, als Futter für den Winter aufgespeicherte Heu jetzt schon angreifen zu müssen war ein schwerer Schlag, zumal es draußen das schönste Gras gab; und normalerweise wäre Gras auch das natürlichste und beste Futtermittel für das Jungvieh gewesen, doch jetzt bedeutete es sein Verderben.
»Dürfen die Tiere überhaupt nicht hinaus?« fragte sie kleinlaut.
»Nein, so leid es mir tut, Mrs. Dalby. Wären die Tiere nur leicht erkrankt, könnte man sie nachts im Stall halten und morgens auf die Weide treiben – nachdem die Wiesen abgetaut sind, denn die Larven klettern an den feuchten Halmen hinauf. Aber bei Ihren Rindern ist das Übel leider schon zu weit fortgeschritten. Wir müssen jedes Risiko vermeiden.«
»Ja... vielen Dank, Mr. Herriot. Jedenfalls wissen wir nun, woran wir sind.« Sie machte eine Pause. »Glauben Sie, daß welche von ihnen eingehen?«
Was sollte ich darauf erwidern? Ich hatte ihr schon geraten, Futterkuchen zu kaufen, was sie sich im Grunde gar nicht leisten konnte, und sie würde bestimmt noch weitere Auslagen haben, weil sie für teures Geld Heu kaufen mußte. Wie sollte ich ihr jetzt sagen, daß nichts auf der Welt die Rinder davor bewahren konnte, wie Fliegen zu sterben? Für Tiere mit trockenem Husten und Schaum vor dem Maul bestand nur wenig Hoffnung auf Genesung, während diejenigen, die bei jedem Atemzug stöhnten, ganz einfach verloren waren. Zu diesen beiden Kategorien gehörte fast die Hälfte der Herde. Und wie stand es mit den übrigen? Nun, sie hatten immerhin eine Chance.
»Mrs. Dalby«, sagte ich, »es wäre unrecht, wollte ich Ihnen Sand in die Augen streuen. Einige werden verenden, daran besteht kein Zweifel, ja, wenn nicht ein Wunder geschieht, werden sie sogar eine ganze Reihe verlieren.« Sie war so niedergeschlagen, daß ich nicht anders konnte, als ihr Mut zuzusprechen. »Aber wo Leben ist, ist auch Hoffnung, und ich habe in meinem Beruf schon manchmal die größten Überraschungen erlebt. Geben Sie ihnen das Wurmmittel und füttern Sie sie gut! Das ist das Beste, was Sie tun können – damit helfen Sie ihnen, die Krankheit zu bekämpfen.«
»Ich verstehe.« Sie straffte die Schultern, bereit, den Kampf aufzunehmen.
Einmal angefangen, mußte ich die Sache auch zu Ende führen. Nach vier Tagen war eine zweite Injektion nötig, und das gab mir zumindest Gelegenheit, zu sehen, wie es den Tieren ging.
Ich war kaum aus dem Wagen gestiegen, da erblickte ich auch schon die mit Säcken bedeckten Tierkadaver. Ich hatte etwas Ähnliches erwartet, aber es mit eigenen Augen zu sehen, war doch ein Schlag ins Gesicht. Es war noch früh am Morgen, und vielleicht fühlte ich mich deshalb dem offenkundigen Beweis meines Versagens so wenig gewachsen. Denn ein Versagen war es ohne Zweifel, und wenn ich auch von Anfang an auf verlorenem Posten gekämpft hatte, lag doch ein schwerer Vorwurf in diesen regungslosen Tiergestalten, deren Hufe unter der Sackleinwand hervorschauten.
Ich zählte rasch. Vier Tiere lagen da. Mutlos näherte ich mich dem Viehhof, hochgeschraubte Erwartungen hegte ich keine. Zwei der Rinder lagen auf der Erde, unfähig, sich von ihrem Strohlager zu erheben, die anderen keuchten noch immer, aber ich bemerkte mit einer gewissen Erleichterung, daß eine Reihe von ihnen verbissen an den Kuchenwürfeln kauten, während andere hin und wieder eine Handvoll Heu aus den Raufen zogen. Es war kaum zu fassen, daß Tiere mit so starken Atembeschwerden immer noch fraßen; Gott sei Dank, denn das war der einzige Hoffnungsschimmer.
Ich ging zum Haus hinüber. Mrs. Dalby begrüßte mich so munter wie auch sonst. Man hätte meinen können, die Kadaver im Hof existierten gar nicht.
»Es ist an der Zeit, die zweite Spritze zu verabreichen«, sagte ich; und nach einigem Zögern fuhr ich fort: »Wie ich sehe, haben Sie vier Rinder verloren... es tut mir sehr leid.«
»Oh, Sie hatten ja gesagt, ich müsse darauf gefaßt sein, Mr. Herriot.« Sie lächelte matt. »Und daher war der Schock nicht ganz so schlimm.« Sie wusch dem jüngsten Kind den Mund ab und richtete sich wieder auf. Auch William war zu Hause. Ich betrachtete ihn, und zum wiederholten Male fiel mir auf, daß in diesem kleinen Jungen eine große Energie steckte; er schien schon heute fest entschlossen
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