Tierarzt
ein Wort der Kritik über meine erfolglose Behandlung fallenlassen. Es wäre unrecht, mich zu beklagen.
Aber nun wußte ich endlich, was mit Toby los war. Endlich, nach so langer Zeit.
Und falls einer meiner heutigen Kollegen, wenn er das liest, der Ansicht sein sollte, ich sei bei der Behandlung dieses Falles ungewöhnlich begriffsstutzig gewesen, so möchte ich zu meiner Verteidigung anführen, daß in den damaligen Lehrbüchern über Pylorusstenose (Verengung des Magenausgangs) so gut wie nichts erwähnt wurde, und wenn man etwas darüber fand, dann aber nichts über die Behandlung.
Aber es mußte in England doch irgend jemanden geben, der den Büchern voraus war, dachte ich. Es mußte doch Leute geben, die diese Operation bereits vornahmen... und vielleicht war einer davon sogar ganz in meiner Nähe...
Ich eilte zum Telefon.
»Hallo, Granville! – Hier spricht Herriot.«
»JIM!« Ein Ausruf uneingeschränkter Freude.
»Granville, ich habe hier einen vier Monate alten Cockerspaniel mit einer Pylorusstenose, den ich Ihnen bringen möchte.«
»Wie erfreulich!«
»Der arme Kerl ist übel dran, nur noch Haut und Knochen.«
»Hört sich sehr gut an!«
»Ich habe ihn leider wochenlang aus Unwissenheit nicht richtig behandelt.«
»Macht nichts!«
»Und die Leute sind sehr arm. Ich fürchte, sie können kaum etwas dafür bezahlen.«
»In Ordnung!«
Ich zögerte einen Augenblick. »Granville... hm... haben Sie... diese Operation schon mal gemacht?«
»Allein gestern waren es fünf Fälle.«
»Was?«
Ein dröhnendes Gelächter. »Das war natürlich ein Scherz, aber keine Sorge, ich hab’s schon ein paarmal gemacht. Und es ist gar nicht so schwer.«
»Oh, da bin ich aber erleichtert.« Ich sah auf die Uhr. »Es ist jetzt halb zehn. Ich spreche sofort mit Siegfried, ob er meine Morgenvisite übernehmen kann. Dann bin ich spätestens um elf bei Ihnen.«
Kapitel 22
Granville war in der Zwischenzeit zu einem dringenden Fall gerufen worden, und ich mußte warten. Endlich hörte ich das teure Geräusch des Bentley, der summend in den Hof fuhr. Ich blickte aus dem Fenster und sah hinter dem Steuerrad eine prachtvolle Pfeife schimmern, dann eilte mein Kollege in einem eleganten dunklen Anzug, in dem er wie der Direktor der Bank von England aussah, mit forschem Schritt auf die kleine Seitentür zu.
»Schön, Sie zu sehen, Jim!« rief er aus und drückte mir herzlich die Hand. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete sie einen Augenblick mit einem Anflug von Besorgnis, ehe er sie mit seinem gelben Tuch polierte und behutsam in die Schublade legte.
Es dauerte nicht lange, und ich stand unter der Lampe des Operationssaals neben Granville – dem anderen Granville Bennett –, der sich mit verbissener Konzentration über die kleine, ausgestreckte Gestalt auf dem Operationstisch beugte.
»Nun sehen Sie sich das bloß an«, murmelte er. »Eine klassische krankhafte Veränderung.« Er legte das Skalpell an. Ein schneller, geschickter Schnitt. »Rasch durch die Muskulatur... ja, tiefer... noch ein bißchen tiefer... ah, da haben wir’s, können Sie es sehen? – die Schleimhaut wölbt sich in den Ausgang. Ja... ja... genau richtig. Das ist die Stelle, zu der man gelangen muß.«
Ich blickte auf den kleinen Kanal, der die Ursache von Tobys ganzen Beschwerden gewesen war. »Ist damit alles erledigt?«
»Alles erledigt, mein Lieber.« Lächelnd trat er einen Schritt zurück. »Das Hindernis ist beseitigt, und Sie werden sehen, wie schnell der kleine Kerl jetzt zunehmen wird.«
»Mir fällt ein Stein vom Herzen, Granville. Ich bin Ihnen wirklich sehr, sehr dankbar.«
»Ach was, Jim. Nicht der Rede wert. Den nächsten Eingriff machen Sie selber, meinen Sie nicht?« Er lachte, nahm Nadel und Katgut zur Hand und vernähte mit unvorstellbarer Geschwindigkeit die Wunde.
Wenige Minuten später waren wir in seinem Sprechzimmer. Granville zog seine Jacke an, und während er seine Pfeife stopfte, wandte er sich mir zu.
»Ich habe mir einen kleinen Plan zurechtgelegt, wie wir den Rest des Vormittags verbringen, alter Freund.«
Ich wich einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. »Hm... das ist sehr nett von Ihnen, Granville, aber ich... ich muß wirklich nach Hause... wir haben sehr viel zu tun... Ich kann Siegfried nicht so lange allein lassen... die Arbeit wächst und wächst...« Ich hielt inne, weil ich merkte, daß ich anfing zu stottern.
Mein Kollege blickte gekränkt drein. »Ich wollte nur
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