Tiffamy Duo Band 29
fragend an. Er wollte etwas von ihr, aber sie wusste nicht was. Sie war noch viel zu benommen, um von selbst darauf zu kommen. Außerdem hatte sie nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn Justines Stimme kam immer näher.
Mehr vom Gefühl als vom Verstand geleitet, lief Kendra zum Zaun und rief Raymonds Pferd. Wieder am Stall angekommen, ergriff sie seinen Arm. „Hier entlang", flüsterte sie. „Beeil dich." Raymond nahm die Zügel und folgte ihr um den Zaun herum zum anderen Ende der Koppel, wo Justine sie nicht mehr entdecken konnte. „Bleib hier, bis sie ins Haus zurückgegangen ist, wenn du jetzt wegreitest, hört sie dich", rief sie ihm über die Schulter leise zu.
Doch schnell merkte sie, wie lächerlich ihre Warnung war, als er mit scharfer, unerbittlicher Stimme sagte: „Bist du dir eigentlich im klaren, was du da tust? Du versteckst einen Flüchtling vor seinen Häschern und verhilfst ihm obendrein zur Flucht."
Kendra hatte sich noch nicht wieder ganz gefangen, deshalb antwortete sie ebenso scharf: „Halt bitte den Mund. Ich weiß nicht, warum ich es eigentlich tue, ich weiß nur, dass Justine dich hier nicht finden darf."
Raymond sah zwar immer noch ärgerlich aus, doch seine Stimme klang weicher, als er fragte: „Schlechtes Gewissen?"
Das war zuviel! „Ich sollte dich den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Du verdienst nicht..."
Plötzlich lächelte Raymond. Das vertraut warme, etwas amüsierte Lächeln, an das sie sich gut erinnerte.
„Ich werde verrückt, du deckst mich", meinte er schmunzelnd.
„Da denkst du aber ganz falsch."
„Das glaube ich nicht."
„Ich glaube, ich bin der einzige Mensch in Arizona, der noch einen klaren Menschenverstand besitzt", fuhr sie ihn an. „Und ich möchte Justine zwingen, ihren gesunden Menschenverstand ebenfalls zu nutzen. Sie ist nämlich felsenfest davon überzeugt, dass du versuchst, , Westwind' zu ruinieren. Colin ist derselben Meinung. Solange sie das denken, könnte der wahre Schuldige ihnen unter die Augen kommen, und sie würden es noch nicht einmal merken.
Wenn Justine dich hier findet, wird sie dich noch mehr verdächtigen. Sie würde nicht darüber nachdenken, warum du ,Windsong' zurückgebracht hast, sondern sofort über dich herfallen. Niemand, aber auch niemand würde sie davon überzeugen können, dass es jemand anders war, der den Zaun beschädigt hat.
Wenn du jetzt das selbstgefällige Lächeln unterlassen und dich einen Augenblick ruhig verhalten könntest, werde ich nachsehen, ob die Luft rein ist."
Das selbstgefällige Lächeln schwand nicht, sondern breitete sich noch weiter aus. „Du deckst mich wirklich", sagte er noch einmal.
Kendra holte tief Luft und machte auf dem Absatz kehrt. Als sie um den Stall herum zum Haus lief, hörte sie ihn noch immer lachen.
Justine schien es nicht eilig zu haben. Mit den Händen in den Taschen ging sie langsam ebenfalls auf das Haus zu. Als sie Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um und entdeckte ihre Schwester. Fragend sah sie Kendra an.
„Was ist los?" fragte Kendra noch immer atemlos.
„Das ist genau das, was ich von dir wissen möchte."
„Oh", war alles, was Kendra darauf antworten konnte.
„Ich habe gesehen, dass die Stalllampe noch brannte. Darum wollte ich einmal nachschauen. Ich könnte schwören, ich hätte dich rufen hören."
Kendra erwiderte so ruhig wie möglich: „Ich habe die Pferde gerufen. Als ich sie von der Koppel holen wollte, entdeckte ich, dass der Zaun beschädigt war."
Justine wurde bleich vor Schreck. „Was ist mit ,Windsong'?"
Kendra biss sich auf die Lippen. Nervös blickte sie zum Stall. Sie hoffte, dass Raymond und sein Pferd dort im Dunkel der Nacht sich ruhig verhalten würden. Zu Justine meinte sie beschwichtigend: „Es ist alles in Ordnung. Du kannst wieder ins Bett gehen. Keines der Pferde fehlt." Sie war überrascht, wie leicht ihr die Lüge über die Lippen kam.
6. KAPITEL
Wochen waren vergangen, doch Kendra hatte noch immer Raymonds Satz im Ohr: „Ich werde verrückt, du deckst mich." Und auch sein selbstgefälliges Lachen hatte sie nicht vergessen. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie ihn an jenem Abend hinter dem Pferdestall zurückgelassen hatte. Und das lag nun fast einen Monat zurück.
Ihr war es nur recht. Wenn sie ihn nach dem ersten Treffen schon nicht hatte wiedersehen wollen, so wollte sie es nach dem zweiten erst recht nicht!
Sie hatte ihn entdeckt, und Justine sogar seinetwegen angelogen. Sich das einzugestehen
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