Tiffany Duo 40
Ufer eines zugefrorenen Teichs entdeckten sie mehrere Tiere, aber sie lagen
kraftlos auf der Seite, mitleiderregende verschneite Gestalten. Ray zählte sie.
Sechsunddreißig waren tot, die Kälber zu klein, um im Schnee aufgestöbert zu
werden.
Eine Kuh hatte sich in einem Gewirr aus Gestrüpp und Draht verfangen. Ihr Kalb
kauerte neben ihr und beobachtete mit unschuldigen braunen Augen, wie die
Mutter mit schwindenden Kräften gegen ihre Fesseln kämpfte. Ray befreite sie, und
sie rappelte sich hoch, war aber zu schwach, um sich weiterhin zu bewegen. Auch
das Kalb stand auf und stolperte auf wackeligen Beinen zum mütterlichen Euter.
Ray warf Heu in den Schnee, dann setzte er gemeinsam mit Madelyn die Suche fort.
In einer Schlucht fanden sie einige überlebende Tiere, in einiger Entfernung zehn
Kadaver. Und so ging es den ganzen restlichen Tag. Wann immer sie lebende Rinder
aufspürten, entdeckten sie ebenso viele tote. Ray verteilte das Heu, zerhackte die
Eisschichten zugefrorener Teiche, notierte die Zahlen seiner Verluste und der
geretteten Tiere. Die Hälfte der Herde war verendet, und er musste mit weiteren
Opfern rechnen. Wie eine Zentnerlast lag die schreckliche Situation auf seinen
Schultern. Er war seinem Ziel schon so nahe gewesen - und jetzt das.
Am nächsten Tag stöberten sie verirrte Rinder auf und versuchten die Herde
zusammenzutreiben. Ray ritt, und Madelyn steuerte den Lieferwagen mit dem
Anhänger, auf den sie Heuballen geladen hatten. Die Temperatur stieg auf zehn
Minusgrade, aber nun war es zu spät.
Ein einjähriger Bulle wollte sich der Herde nicht anschlie-
ßen und scherte nach links aus. Sofort folgte ihm das Pferd, sprang vor das
ungestüme junge Tier und drängte es zu den anderen zurück.
Eigensinnig blieb der Bulle stehen, schwenkte den Kopf hin und her und gebärdete
sich wie ein aufsässiger Teenager. Plötzlich unternahm er einen zweiten
Fluchtversuch und stürmte über einen Teich, aber Ray hatte die Eisschicht am Ufer
aufgehackt, und das Wasser war inzwischen nicht hinreichend gefroren, um das
beträchtliche Gewicht des Bullen zu tragen. Die Hinterbeine brachen ein, er fiel
rückwärts, verdrehte die Augen und brüllte verängstigt.
Fluchend holte Ray sein Lasso hervor und ritt zum Ufer. Madelyn stoppte den
Lieferwagen und stieg aus. »Steig nicht auf das Eis!« warnte sie.
»Keine Bange, ich in nicht so dumm wie dieses Biest!« rief er, schüttelte das Lasso
aus und schwenkte die Schlinge ein paar Mal durch die Luft. Beim ersten Wurf
verfehlte er das Ziel, weil sich das junge Tier verzweifelt hin und her wand. Bei
diesem Kampf zerbrach es noch mehr Eis, und der Körper verschwand im Wasser.
Beim zweiten Wurf schlang sich das Lasso um den Kopf des Bullen, und Ray knotete
das Seil rasch um den Sattelknauf. Unter den Anweisungen des Reiters ging das
Pferd langsam rückwärts und zog den Bullen aus dem Wasser.
Als er ans Ufer gelangt war, blieb das Pferd stehen. Ray streifte die Schlinge vom
Kopf des Bullen. Sobald das ungebärdige junge Tier befreit war, geriet es in Panik,
brüllend rammte es den Hengst und stieß den Reiter seitwärts ins Wasser.
Madelyn unterdrückte einen Schrei, als sie zum Ufer rannte, und wartete atemlos,
bis Ray auftauchte. Endlich sah sie ihn, etwa fünf Meter weiter draußen. Aber selbst diese kurze Strecke konnte er nicht bewältigen. Das eisige Wasser lahmte seine
Glieder, und er vermochte nichts weiter, als sich an einem Eisbrocken festzuhalten.
Sie packte das Lasso, führte das Pferd
an den Wasserrand, aber sie wusste nicht, wie sie die Schlinge auswerfen musste,
und es wäre ohnehin unmöglich gewesen, Ray am Hals aus dem Teich zu ziehen.
»Kannst du das Sei! auffangen?« rief sie. Eine behandschuhte Hand bewegte ich,
und sie hoffte, dass Ray damit seine Zustimmung ausdrückte. Sie warf das Lasso zu
ihm, er bemühte sich einen Arm hochzustrecken, bewegte sich aber zu langsam und
schwerfällig und der Strick fiel ins Wasser.
Sie musste Ray sofort herausholen. Noch zwei Minuten -und es würde zu spät sein.
Schmerzhaft hämmerte ihr Herz gegen die Rippen, ihr Gesicht war so weiß wie der
Schnee ringsum. Nur sie allein vermochte ihn zu retten, und für Überlegungen blieb
keine Zeit. Sie zog das Seil aus dem Teich und trat vorsichtig auf eine Eisscholle am Ufer.
Ray reckte den Kopf hoch, entsetzt schnappte er nach Luft, als er Madelyn auf sich
zukommen sah. »Nein!« stieß er heiser hervor.
Doch
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