Tiffany Duo 48
nicht
während des Weihnachtsgeschäftes schließen, das war die einzige Jahreszeit, wo sie
wirklich gut Geld einnahm. Sie würde nicht zulassen, daß Nick Fitzsimmons sie aus
ihrem gemütlichen Heim in Danbury vertrieb.
Natürlich mußte sie Leona warnen. Sie hatte es ohnehin schon schwer genug, sich in
einer so kleinen, fest zusammenhaltenden Gemeinde wie Danbury zu behaupten, da
brauchte sie keinen Nick, der ihr noch zusätzliche Schwierigkeiten machte. Sicher
war das alles völlig absurd, trotzdem wollte Sybil Nick nichts davon sagen. Der
glaubte ohnehin das, was er glauben wollte.
"Dans Büro ist eine Etage höher, die Treppe hinauf", erklärte sie mit ausdrucksloser Miene. "Die Bibliothek befindet sich im angrenzenden Zimmer. Aber gehen Sie
behutsam mit den Büchern um, einige davon sind sehr alt und selten."
"Bücher über das Rutengehen?"
"Über alles mögliche. Wir haben sogar eine Reihe alter Bücher über Flüche und
Zaubersprüche, die ein Vorfahr eines unserer Mitglieder aus England mitgebracht
hat. Sie sind fast nicht mehr zu entziffern, aber unglaublich faszinierend."
"Wollen Sie mir etwa weismachen, daß Sie an Zaubersprüche und Hexenkunst
glauben?"
"Nein, ich glaube nicht an solche Dinge", erwiderte Sybil spitz. "Pure Neugier, das ist alles. Gehen Sie, Nick. Lassen Sie mich weiterarbeiten."
"Ich nehme an, der Waffenstillstand ist damit beendet?" Er stand noch immer in der Tür, und Sybil wünschte, er wäre kleiner und unansehnlicher. "Hat meine
Bestechungsgabe nicht länger vorgehalten?"
Sybil leerte die zweite Coladose und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. "Genau zehn Minuten Freundlichkeit pro Dose", erklärte sie.
Er sah etwas verwundert aus, dann gab er sich einen Ruck und verließ die Küche.
Dan Appletons Büro war klein und eng. Die schrägen Wände stellten eine ernsthafte
Gefahr für jemanden dar, der fast einsneunzig groß war. Die Bibliothek erwies sich
als geräumiger, auch war dort auf dem Tisch mehr Platz als auf Dans vollgepacktem
Schreibtisch. Aus dem Fenster hatte man einen hübschen Blick über den kleinen,
malerischen Ort, und alles, was Nick jetzt noch zu seinem Glück fehlte, war Sybil
Richardson.
In Bezug auf die Bücher hatte sie recht gehabt. Echte Schätze befanden sich
darunter, auch ein paar Bücher aus dem neunzehnten Jahrhundert über
Rutengängerei, vo n denen Nick schon viel gehört, aber nie das Glück gehabt hatte,
sie zu sehen. Die Bücher über Hexenkunst waren in einem verschlossenen,
verglasten Schrank untergebracht. Einen Moment lang fühlte Nick sich versucht,
nach unten zu gehen und den Schlüssel zu verlangen, aber dann überlegte er es sich
anders. Sybil - nein, Saralee - brauchte etwas Abstand von ihm. Er mußte sehr
behutsam vorgehen und durfte sie nicht überrumpeln.
Deshalb würde es auch nicht schaden, wenn er sich etwas rarer machte. Aus
irgendeinem Grund fühlte er sich immer stärker zu ihr hingezogen, je öfter er sie
sah. Ein konkreter Grund war das jedenfalls nicht. Er war an wesentlich schönere
und charmantere Frauen gewöhnt, an hochgewachsene Blondinen, die es
verstanden zu flirten. Sybil war eher wie ein kleiner, mißmutiger Spatz, der ihn ab
und zu aus großen braunen Augen ansah.
Und nun stand er hier, endlich in der Lage, mit der Arbeit an seinem Buch zu
beginnen, und was tat er statt dessen? Er gab sich erotischen Phantasien hin und litt unter den erwarteten körperlichen Reaktionen, die solche Phantasien meist
hervorriefen. Wenn er schon sonst nichts Vernünftiges
zustandebrachte, dann konnte er wenigstens eine Liste der Bücher aufstellen, die er
zu benutzen gedachte.
Natürlich konnte er sich auch ausdenken, wie er Leona Coleman überführen sollte,
ohne daß ihm dabei ihre kleine Freundin in die Quere kam. Denn nach wie vor
zweifelte er nicht daran, daß Leona zu all dem fähig war, was er ihr zutraute, wenn
nicht noch zu Schlimmerem. Zwar war ihr schädlicher Einfluß auf Sybil momentan
noch rein psychischer Natur, aber er fürchtete, daß es nicht dabei bleiben würde.
Wie er von den Müller-Schwestern erfahren hatte, hatte Sybil "Geld", auch wenn sie keinerlei Interesse hatte, es auszugeben. Ging es nach Leona, blieb Sybil bald nicht
einmal mehr die Möglichkeit, etwas mit diesem Geld anzufangen.
Vorsichtig ließ Nick sich auf einem der Stühle nieder, streckte seine langen Beine aus und gab sich in dem ruhigen, leicht modrig riechenden Raum seinen Überlegungen
hin.
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